Das 20. Jahrhundert
Das vergangene 20. Jahrhundert wird aus dem Blickwinkel der Frau reflektiert.
Der tiefgreifende gesellschaftliche Wandel zu Beginn des gerade vergangenen Jahrhunderts wurde nicht nur in der Kunst sichtbar, sondern auch im Verhältnis der Geschlechter zueinander: Nun meldeten sich auch die Frauen zu Wort, formulierten neue Erwartungen an die Zukunft und konnten im Laufe der Zeit unerhört vieles erreichen - den Zugang zu Bildungseinrichtungen, politische Mitsprache, Ausübung qualifizierter Berufe, finanzielle Selbständigkeit usw.
Für jedes Jahr kann mindestens ein frauengeschichtliches Ereignis aufgerufen werden, das FRAU zum ersten Mal erreicht hat.
Viertes Jahrzehnt (1931 - 1940) mit 21 herausragenden Errungenschaften von Frauen
1931
Ein deutscher Stern am Himmel Hollywoods
Marlene Dietrich wird mit der Hauptrolle im ersten deutschen Tonfilm, "Der blaue Engel" (1929), über Nacht zum Star.
Nach diesem Film setzt sie - nicht zuletzt aus politischen Gründen - ihre Karriere in Hollywood fort. Filme wie 'Shanghai-Expreß' oder 'The Scarlett Empress' machen sie unvergesslich.
1931
In Den Haag stirbt die russische Tänzerin Anna Pawlowa
Sie ist erst 49 Jahre alt und gilt als bedeutendste Vertreterin des russischen Tanzes.
Weltberühmt wurde sie durch ihren "Sterbenden Schwan". 1907 faszinierte sie auch das Publikum im westlichen Ausland, zuerst als Mitglied des "Ballett Russe" von Sergej Diaghilew. Später machte sie sich selbständig und zog mit einem eigenem Ensemble um die Welt.
1932
Die erste 'Miss Universum'
Die Türkin Halis wird im belgischen Spa zur 'Miss Universum' gewählt. Dies ist ein deutlicher Beweis für die Emanzipation der türkischen Frau.
Bis vor wenigen Jahren galten in der Türkei die strengen Regeln des Islams, die die vollständige Verhüllung der Frau in der Öffentlichkeit vorschrieben.
Mit dem Regierungsantritt von Mustafa Kemal Pascha (Atatürk) 1923 wird eine neue liberalere Kleiderreform durchgesetzt, die das Tragen des Gesichtsschleiers verbietet.
1933
Hitlers Machtergreifung
Am 30. Januar übernimmt Adolf Hitler ganz legal, von Teilen der Wirtschaft mitfinanziert, die Macht im Deutschen Reich und zerschlägt die demokratischen Formen des politischen und gesellschaftlichen Lebens.
Auch Frauen in Deutschland sind begeistert - das soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Frauen in der Entstehungsgeschichte des Nationalsozialismus keine wesentliche Rolle spielten.
Die Emanzipation der Frauen wird um Jahrzehnte zurückgeworfen.
1933
Das erste Konzentrationslager für Frauen
Das Frauen-KZ in Moringen bei Hannover. Einen Tag nach dem Reichstagsbrand in Berlin am 28. Februar tritt die 'Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat' in Kraft, was bedeutet, dass Oppositionelle in 'Schutzhaft' genommen werden können. Das sind vor allem Gegnerinnen der Faschisten, die der NSDAP als Funktionärinnen der KPD, der SPD und der Gewerkschaften namentlich bekannt sind. 1938 reicht die Kapazität Moringens für Frauen, die aus politischen, weltanschaulichen und rassischen Gründen verhaftet werden, nicht mehr aus. Die Inhaftierten werden nach Lichtenburg verlegt.
1933
Die ersten Widerstandsgruppen gegen die Nazis
Eine der aktivsten ist die kommunistische Gruppe 'Rote Kapelle'. Von August bis Oktober 1942 werden 130 Mitglieder verhaftet. In mehreren Prozessen werden 18 Frauen und 31 Männer zum Tode verurteilt und hingerichtet. Auch aus der Gruppe 'Baum', der wichtigsten jüdischen Untergrundorganisation, werden 27 junge Widerstandskämpfer hingerichtet, darunter sind 12 Frauen. (4.3.1943)
Künstlerinnen im Exil
Viele Künstler/innen werden von dem NS-Regime in die Emigration gezwungen und beleben nun auf ihre Weise die internationale Kulturszene. So auch das politische Kabarett "Die Pfeffermühle".
Erika Mann, die Tochter des Schriftstellers Thomas Mann, hat am 1. Januar in München "Die Pfeffermühle" gegründet, schon im März wird sie jedoch gezwungen, ins Ausland zu gehen, und feiert am 1. Oktober ihre erste Auslandspremiere in Zürich. Zum Ensemble gehören Therese Giese, Sybille Schloss, die Tanzparodistin Lotte Goslar und der Pianist Magnus Henning. Ihre Schweizer Kollegen sorgen für eine Auftrittsgenehmigung.
1933
Die 'First Lady' erobert das Weiße Haus
Eleanore Roosevelt, die Frau des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, gibt am 6. März ihre erste 'Montagmorgen-Pressekonferenz', die in kurzer Zeit zu einer wichtigen Institution wird. Sie ist ausschließlich Frauen vorbehalten. Eleanore Roosevelt wollte ursprünglich mit dieser Initiative Journalistinnen vor drohender Arbeitslosigkeit bewahren. Bei ihrer ersten 'Montagmorgen-Pressekonferenz' spricht sie noch ausschließlich über häusliche Fragen, am Ende des Jahres verteidigt die 'First Lady' den sozialen Wohnungsbau, Mindestlöhne, die Schaffung neuer Jobs für Frauen, gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit und eine Altersabsicherung. Bald kann es sich keine der nationalen Zeitungen mehr leisten, die Stimme von Eleanore Roosevelt zu ignorieren. 1945 wird die USA bei dem Gründungstreffen der UNO von Eleanore Roosevelt vertreten. Außerdem wird der amerikanischen Politikerin 1946 der Vorsitz der Kommission der Menschenrechte, die mit der 'Erklärung der Menschenrechte' befasst ist, übertragen.
1934
Eine Frau ruft zur Gebärschlacht auf
Die Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink, Mutter von elf Kindern, steht an der Spitze der NS- Frauenschaft und des Deutschen Frauenwerkes (DFW). Darüber hinaus führt sie auch das Frauenamt der Deutschen Arbeitsfront (DAF), sowie bis 1936 den weiblichen Arbeitsdienst.
Diese Anhäufung von Ämtern täuscht ein politisches Gewicht vor, das sie jedoch in der ausschließlich von Männern beherrschten NSDAP nicht hat. Sie bleibt willfähriges Werkzeug und Sprachrohr des faschistischen Frauenbildes: Der Mann zieht in den Krieg, muß sich auf dem Schlachtfeld bewähren - die Frau besteht die 'Gebärschlacht' an der 'Front zu Hause'."... Jedes Kind, das sie zur Welt bringt, ist eine Schlacht, die sie besteht für das Sein und Nichtsein ihres Volkes!" mit diesen Worten bringt Hitler auf der Tagung der NS-Frauenschaft am 8. September seine Frauenpolitik auf den Punkt
1934
Hitler wird von einer Frau interviewt
Die Journalistin Dorothy Thompson weckt mit ihren antifaschistischen Reportagen in der amerikanischen Öffentlichkeit Interesse für die Gefahren des Nationalsozialismus.
1938, acht Monate bevor die Weltöffentlichkeit sich über die Ereignisse der 'Reichskristallnacht' empört, macht Dorothy Thompson mit ihren Berichten über die deutschen Konzentrationslager und die Judenverfolgung Schlagzeilen. Sie rügt die US-amerikanische 'Scheuklappenmentalität' und übt scharfe Kritik an der Gleichgültigkeit gegenüber denjenigen, die von den Nazis verfolgt werden.
1935
Nazi-Deutschlands erfolgreichste Regisseurin
Leni Riefenstahlerhält in Berlin den Film-Nationalpreis für ihren Parteitagsfilm'Triumph des Willens';
1938 wird ihr zweiteiliger Film über die Olympischen Spiele 1936 uraufgeführt. Mit ihren gigantomanischen Filmen betreibt sie die Verherrlichung des NS-Regimes und wird dafür mit Anerkennung überhäuft.
Leni Riefenstahl ist eine der umstrittensten Persönlichkeiten des deutschen Films. Nach dem Krieg wird ihr vorgeworfen, den Nationalsozialismus mit ihren ästhetisch und technisch brillianten Arbeiten unterstützt zu haben.
In der BRD beginnt sie eine zweite Karriere als Fotografin, sie dokumentiert u.a. das Volk der Nuba im Süden des Sudan und lernt als 80jährige noch die Unterwasserfotografie.
1936
Die Olympischen Spielen finden in Deutschland statt
Bevor in Berlin das olympische Feuer entfacht wird, rufen engagierte antifaschistische Gruppen zum Boykott der 'Hitlerspiele' auf. Auf den Transparenten stehen Appelle wie: "Gegen die Olympiade des Krieges und Faschismus in Berlin 1936. Für die Olympiade der Arbeit und des Friedens in Antwerpen 1937".
Hitler und sein Propagandaminister Goebbels haben rechtzeitig erkannt, daß die Teilnahme von Frauen an den Olympischen Spielen das System wirksam stärkt. Der Wettkampfsport der Frauen wird da gefördert, wo es um internationales Ansehen geht. Als Resultat des Leistungstrainings gehen die deutschen Athletinnen mit 13 von insgesamt 45 möglichen Medaillen als erfolgreichstes Team hervor. Hitler läßt sich gerne mit den deutschen Medaillenträgerinnen fotografieren, so auch mit der Siegerin im Florettfechten Helene Mayer, die als Halbjüdin zu dieser Zeit noch als Alibi dienen darf. 1941 wird die deutsche Olympiasiegerin, die wegen der Rassengesetzgebung in die USA emigriert ist, zum sechsten Mal in New York Meisterin im Florettfechten.
1936
Hitler verhängt ein Berufsverbot für Juristinnen
Frauen dürfen ab dem 24. August weder Richterinnen noch Anwältinnen werden. Damit wird die Diskriminierung von Frauen in hochqualifizierten Berufen fortgesetzt bzw. wieder eingeführt. Auch im Gesundheitswesen werden Frauen aus führenden Positionen verdrängt.
1936
Ein Roman schlägt alle Auflagenrekorde
Margaret Mitchell's Buch 'Vom Winde verweht' erscheint im Mai in einer Auflage von 50.000 Exemplaren in den USA. Innerhalb eines Tages ist die erste Auflage vergriffen, und von der zweiten Auflage werden täglich 3700 Exemplare verkauft. In der Verlagsgeschichte der USA ist das Buch bislang der größte Erfolg, es wird in 30 Sprachen übersetzt und erscheint in 37 Ländern.
Im Dezember 1939 wird der gleichnamige Film in Atlanta uraufgeführt. Margaret Mitchell nimmt als Ehrengast an der Premiere teil und äußert sich begeistert über die Verfilmung. 'Vom Winde verweht' wird auch einer der erfolgreichsten Filme aller Zeiten.
1937
Zarah Leander
Die Hoffnungen des Propagandaministeriums haben sich erfüllt: Am deutschen Kinohimmel erscheint ein neuer Stern und bietet sich als Identifikationsobjekt an. Die Schwedin Zarah Leander begeistert mit ihrem Film 'La Habanera' das deutsche Kinopublikum. Sie verkörpert die liebende, sich hingebende, opferbereite Frau. Zarah Leander zählt in den 40ger Jahren zu den populärsten Schauspielerinnen des deutschen Films. Mit ihrer rauchigen Stimme macht sie Lieder wie "Kann denn Liebe Sünde sein" und "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen" zu Evergreens. Die Diva wird zum Aushängeschild der Ufa. Als sie 1943 in ihr Heimatland Schweden zurückkehrt, verbietet die deutsche Regierung die Aufführung ihrer Filme.
1937
Die erste Eisrevue der Welt
Die norwegische Eistänzerin Sonja Henie, die schon als Vierjährige auf den Kufen stand, war von 1927-36 Weltmeisterin und gewann bei den Olympischen Spielen 1928, 1932 und 1936 jeweils die Goldmedaille.
Als eine der ersten Sportlerinnen beginnt sie nun, ihre internationalen Erfolge in klingende Münze umzusetzen. Sie geht nach Hollywood und erhält einen Fünfjahresvertrag für Revuefilme wie "One in a million". Aber "Häseken", wie die Berliner sie nannten, kann noch mehr: Sie gründet ihr eigenes Unternehmen, die erste Eisrevue der Welt, begeistert auf ihren Tourneen durch die USA ihr Publikum und verdient Millionen.
1938
Kein Nobelpreis für Lise Meitner
Die Kernphysikerin Lise Meitner wird als Jüdin kurz vor dem wissenschaftlichen Durchbruch gezwungen, aus Nazi-Deutschland zu fliehen. Sie muß die Ergebnisse ihrer jahrzehntelangen gemeinsamen Forschung mit Otto Hahn kurz vor der Entdeckung der Uran-Kernspaltung in Berlin zurücklassen. Nach einer Odyssee durch die Niederlande und Dänemark gelangt sie schließlich nach Schweden, wo sie am Nobel Institut für Physik in Stockholm ihre Arbeit wieder aufnehmen kann. Während sie wieder ganz am Anfang steht, führt Otto Hahn die Versuche über Radium-Isotope weiter. Brieflich verständigen sich jedoch beide Forscher über die entscheidenden Versuche. Am 19. Dezember gelingt in Berlin der chemische Nachweis, der Otto Hahn den Nobelpreis bringt. Lise Meitner jedoch geht leer aus.
1939
Am 1. September überfallen deutsche Truppen Polen
Anders als 1914 wird der Beginn des II. Weltkrieges nicht mit Begeisterung aufgenommen.
Die Nazis haben die Frauen schon früh auf eine Rationierung der Lebensmittel vorbereitet: In Kursen des Deutschen Frauenwerkes haben Frauen bereits gelernt, mit geringen Mitteln zu wirtschaften, außerdem werden sie schon seit 1936 zur Kriegsvorbereitung herangezogen: Frauen lernen bei Luftschutzübungen, wie man Brände löscht, wie man mit der Gasmaske umgeht und werden zur Arbeit in den Wehrmachtsküchen dienstverpflichtet.
1939
Das Mutterkreuz für Erfolge bei der 'Gebärschlacht'
Frauen mit 'überdurchschnittlichen Gebärleistungen' werden am Muttertag mit dem Ehrenkreuz der deutschen Mutter ausgezeichnet. Dabei kommt es nicht nur auf die Zahl der Kinder, sondern auch auf die 'Qualität' im Sinne der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik an. Die Kinder müssen gesund und 'arisch' sein, die Mutter politisch korrekt.
Allem Mutterkult zum Trotz wird das Ziel des Kinderreichtums im Deutschen Reich nicht erreicht. Wie bereits 1919 entfallen auf eine Durchschnittsehe 1,3 Kinder. Konstante Geburtenziffern deuten darauf hin, daß Frauen sich nicht besonders anstrengen, dem Führer Söhne zu schenken.
1910
Eine Malerin erlangt noch mit 80 Jahren Weltruhm
Grandma Moses, eigentlich Anna Mary Robertson, stellt ihre Bilder im Stil der naiven Malerei in einer New Yorker Galerie aus. Sie zählt zu den bekanntesten Vertretern der naiven Malerei und stirbt 101-jährig 1961 in New York.
1939
Lisa Fittko bringt Flüchtlinge über die spanische Grenze
Die jüdische Widerstandskämpferin Lisa Fittko muß 1933 aus Berlin fliehen, geht zunächst nach Prag, die Schweiz, die Niederlande und schließlich nach Frankreich.
Auf der Suche nach einem Ausweg stößt sie im südfranzösischen Banyuls auf eine alte Schmugglerroute, über die sie in einigen Monaten Hunderten von Menschen zur Flucht verhilft. Ihr prominentester Flüchtling ist Walter Benjamin. Sie selbst kann sich schließlich 1941 nach Kuba retten.