... dann brauch ich Gewalt ... (1980)

Dokumentarischer Spielfilm über sexuellen Kindesmissbrauch

Der Film beschäftigt sich mit den alltäglichen, im Verborgenen vollzogenen sexuellen Miisshandlungen gegenüber Kindern.

Er erzählt von der 10jährigen Mignon, zu der ihr Vater eine Inzestbeziehung unterhält. Mignons Geschichte wird im Film als Spielfilmhandlung dargestellt. Diese Spielhandlung verweist auf die Schicksale von Petra und Brigitte, die als Kinder selber Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind und im Film darüber dokumentarisch berichten.

Tabu erster Kategorie: der Sexuelle Mißbrauch von Kindern

Sebastian Feldmann in "Filmlandschaft NRW", 1980

Mädchen werden weit häufiger sexuell missbraucht als Jungen (80 % zu 20 %). Fast immer sind Männer die Täter. 2/3 der kindlichen Opfer sind zwischen 10 und 13 Jahre alt. In der BRD kommen jeden Tag etwa 35 Straftaten gegenüber Kinder zur Anzeige.

Insgesamt werden 25.000 Fälle der Polizei bekannt. Es wird geschätzt, dass jeden Tag noch zusätzlich 200 - 360 Fälle auftreten, die der Polizei nicht gemeldet werden.

Nicht etwa die Zufallsbekanntschaften, sondern in erster Linie die Väter, Stiefväter, Onkel und nächste Bekannte sind es, die sich Kindern sexuell nähern. Soweit Vergewaltigungen sich im 'Schutzraum' der Familie ereignen, betrachten Außenstehende, wie Lehrer, Ärzte usw. eine Anzeige heute immer noch als unangemessenen Eingriff in die Intimsphäre der Familie. Dies wird noch durch unsere Gesetzgebung unterstützt, die den Eltern fast unbeschränkte Verfügungsgewalt zusichert.

 

Credits

  • Titel: ... dann brauch ich Gewalt ...
  • Produktionsland: Deutschland
  • Produktion: CIRCE-FILM-GmbH
  • schwarz/weiß
  • Format: 16 mm (3:4)
  • Länge: 26 Min.
  • Regie: Elke Jonigkeit, Christine Markgraf
  • Kamera: F. Teltz / Dieter Vervuurt
  • Ton: Hartmut Kaminski
  • Schnitt: Elke Jonigkeit
  • Schauspieler: Mutter: Marianne Hoika; Mignon: Mignon Ritter; Markus: Cornelius Kaminski

Die größte Anzahl der Täter kommt aus der Unterschicht, d.h. aber nicht, dass sexuelle Misshandlungen in der Mittel- und Oberschicht ausbleiben. Hier verhält es  sich ähnlich wie bei anderen Kindesmisshandlungen: in der Mittel- und Oberschicht können diese Vorgänge eher verheimlicht werden.

Die Kleinfamilie mit ihren sozial-isolierenden Erscheinungen und gestörte Familienverhältnisse begünstigen sexuelle Ausschreitungen gegenüber Kindern. Kinder sind hilflos und der Willkür der Täter völlig ausgeliefert, dies trifft vor allem beim Inzest zu, bei dem Täter und Opfer durch engste zwischenmenschliche Beziehungen miteinander verstrickt sind. Drohungen oder Gewalttätigkeiten, aber auch Geschenke bringen die Kinder zum Schweigen.

Furcht vor familiärer Schande und dem wirtschaftlichen Abstieg der Familie bei Verurteilung des Vaters, aber auch Schuld- und Schamgefühle hindern die Kinder, sich an eine  Vertrauensperson zu wenden und lassen sie die sexuellen Misshandlungen oft Jahre lang ertragen. Dies führt zu schwerwiegenden Folgeschäden, die sich in Verwahrlosungserscheinungen und anderen Verhaltensstörungen oder in mangelndem Selbstwertgefühl oder in sexuellen Störungen äußern können. Kommt es zur Anzeige wird den Kindern 'häufig nicht geglaubt, die wiederholten Vernehmungen vor Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht führen ebenfalls zu schweren psychischen Traumata.

"...dann brauch' ich Gewalt" von Elke Jonigkeit un.d Christine Markgraf handelt (gewiss erstmals in der Bundesrepublik) dokumentarisch von einem Tabu-Thema erster Kategorie: vom Inzest. Das heißt in erster Linie von der sexuellen Ausbeutung und Bezwingung von Mädchen-Kindern durch ihre Väter, Stiefväter oder andere ihnen "nahestehende" Männer. Durch dokumentarische und nachgestellte Spielfilmszenen, durch eingeschnittene Porno- und auch Zeitungshinweise versuchen die zwei Filmmacherinnen, das familiäre Krankheitsbild sexueller Kindesmisshandlung erklär- und anklagbar zu machen: die grauenvollen Dunkelziffern der schweigend Leidenden (nur 25 000 Straftaten pro Jahr werden bekannt), und vor allem den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Patriarchat und seinem zumeist brutalen Zugriff aufs Kind als Sex-Objekt.

Erschütternd sind die Zeugnisse vergewaltigter Kinder, die, jetzt Frauen, von ihren Erfahrungen berichten. Erschütternd auch das gesamte, von den Filmemacherinnen genau recherchierte juristische Material. Aufschlussreich besonders die Feststellung, dass es sich nicht ausschließlich um "zerrüttete" Unterschicht-Familien handelt, wo "so was" vorkommt: es kommt nämlich offenbar selbst  in den besten Familien vor. Kinderschändung besitzt keinen Klassen-Charakter.

Sebastian Feldmann, RP 12.3.1980

Die Tabuisierung des Problems - Sexualkontakte zu Kindern - verschleiert das zwiespältige Verhältnis der Gesellschaft zu ihren Kindern: Kinder zu schützen und sie andererseits als sexuelle Wunsch- und Projektionsobjekte anzusehen.