Die Frauen von Kabul
Sterne am verbrannten Himmel - 2002
Der Film "Die Frauen von Kabul - Sterne am verbrannten Himmel" erzählt von der Suche nach den Frauen, mit denen ich 1988 in Kabul den Film "Tschadari und Buz Kaschi - afghanische Frauen heute" drehte. Er beleuchtet die Geschehnisse der Zeit Nagibullahs, der Mudschaheddin, der Taliban und lässt uns teilhaben am Leben der drei wiedergefundenen - Parwin, Tajwar, Hafiza - und weiteren neu kennengelernten Frauen in Afghanistan im Jahr 2002.
Fotos und Zitate der Protagonistinnen
"In der Zeit der Taliban fanden hier weiterhin sportliche Wettkämpfe statt - aber auch Hinrichtungen. Männer - sowie Frauen - wurden hier hingerichtet, Leute, die Mörder waren, die andere Menschen umgebracht hatten. Man hat die Leute hierher gebracht und einen Tag vorher über Radio bekannt gegeben, dass hier eine Hinrichtung stattfinden wird. Wenn sie nur gestohlen hatten, wurden ihnen die Hände und Füße abgehackt. Die Frauen wurden genauso behandelt. Neben diesen Hinrichtungen gab es auch andere Bestrafungen. Zum Beispiel, wenn man zwei Männer der Homosexualität beschuldigte, dann baute man eine Mauer und ließ sie einstürzen, so dass die beiden Männer darunter begraben wurden. Wenn Frauen Ehebruch begangen hatten, wurden Steine ins Stadion gebracht und die Frauen wurden gesteinigt. Hier, aber auch in den anderen Provinzen Afghanistans, hat das stattgefunden. In Kabul waren die Hinrichtungen meistens am Freitag."
"Mein Name ist Chatiba, vielleicht bin ich 14. Ich besuchte die Schule nur bis zur vierten Klasse, dann meinte mein Vater, das wäre nichts für mich. "Bleib zu Hause", sagte er. Seit vier Jahren mache ich die Plisseefalten in die Tschadari. Wenn die Tschadari aus drei Stücken zusammengenäht ist, kann man sie an einem Arbeitsstuhl befestigen. Sind es vier, machen wir zuerst die ersten zwei und dann die anderen zwei. Wenn es drei Teile sind, können sie alle drei auf einmal gemacht werden. Bei drei Stücken bezahlen sie 20 und bei vier 25 Afghani. Es dauert vom Morgen bis zum Mittag, um ein Stück zu machen. Das hier ist koreanischer Stoff, der ist gut. Die pakistanischen sind sehr rauh, die Fingerkuppen bluten dann. Alles, was man anfasst - die Finger bluten. Mit dem Bügeleisen versenge ich mir die Fingerkuppen, damit sie hart werden. Wenn sie dann hart sind, kann man besser arbeiten, aber nach zwei, drei Tschadari fängt alles wieder von vorne an. Es ist sehr schwer, und weinend arbeitet man weiter."
"Mit den Einnahmen vom Tschadari-Nähen habe ich uns über die Runden gebracht. 10 Jahre lang haben wir abends nichts gegessen. Aus größter Not, damit meine Kinder nicht verhungern, mache ich das. Die Schule konnten sie nicht besuchen, weil ich die Untergrundkurse nicht bezahlen konnte."
"Als die Taliban die Macht übernommen hatten, konnte ich drei bis vier Monate das Haus nicht verlassen. Wir waren vier Frauen und hatten keine Schleier. Und vier Tschadari auf einmal konnten wir uns nicht leisten."
"Ich war mit meiner Mutter in der Stadt. Ich suchte sie und erkannte sie nicht. Dabei stand sie direkt neben mir. Ich zog mal an dem einem, mal an dem anderen Schleier und fragte: Mutter? - Dabei stand sie genau neben mir. "
"Wir gingen auf den Friedhof, um zu beten. Die Sonne blendete mich. Ich konnte nicht einmal bis vor meine Füße sehen. Ich konnte den Weg nicht sehen. Als wir runter gingen, bin ich auf der letzten Treppe gefallen. Ich bekam einen richtigen Schock."
"Auch heute trauen sich die Frauen nicht, die Tschadari abzulegen. Besonders die jungen Frauen haben noch immer Angst. Sie denken, wenn ich den Schleier hochschlage, könnte ein Talib kommen und mir Säure ins Gesicht spritzen."
"Mein Name ist Dr. Rasia Naser, ich bin Frauenärztin in der ambulanten Klinik in Binisahr. Da ich hier geboren bin, kam ich hierher zurück, obwohl ich an diesem Ort Schreckliches erlebte. Es ist mein Heimatdorf und trotz dieser furchtbaren Ereignisse: gerade hier möchte ich meinen Landsleuten helfen.
Einer der Gründe war, dass ich in der Sowjetunion die Universität besucht hatte. Außerdem hatten alle in meiner Familie studiert und waren gebildete Leute. Die Angreifer, die von sich sagten, dass sie Moslems und Mudschaheddin wären, hatten das Ziel, alle Personen, die studiert hatten und gebildet waren, zu vernichten. Sie haben dies Massaker durchgeführt, um allen Dorfbewohnem klar zu machen, welche Folgen es hat, zu studieren oder für den damaligen Staat zu arbeiten., bzw. sich weiterzubilden. Ja, das war ihr Ziel, glaube ich."
"Zuerst hat man unsere Fabrik geplündert, dann angezündet und verbrannt. Man hat sie zum Militärposten gemacht. Schwarz und dreckig - von der alten Fabrik gibt es gar nichts mehr. Bisher habe ich unsere alte Fabrik von innen noch nicht gesehen, aber von außen ist sie eine Ruine, zerstört von Bomben und Raketen. Bis sie wieder aufgebaut ist - das wird lange dauern. Ich wurde 1980 in dieser Fabrik angestellt. Damals gab es hier noch keine Schneiderei. Alle anderen Bereiche, wie Mauerbau, Tischlerei usw. hatten wir schon - alle Abteilungen, damit man eine Siedlung bauen kann. Nur noch keine Schneiderei.
Die ersten Personen, die in der Schneiderei angestellt wurden, waren ich und mein erster Mann. Wir haben sie gegründet. Wir hatten ungefähr 30 Lehrlinge, oder mehr. Das waren noch keine gelernten Schneiderinnen. Wir haben ihnen das Schneiderhandwerk beigebracht. Viele von diesen Leuten ernähren sich noch heute von diesem Beruf. Anzüge für den Winter und den Sommer und Schutz- Handschuhe für alle Arbeiter haben wir hergestellt."
"Ein 18 jähriges Mädchen hat man mit einem Mann verlobt, den es nicht will. Das Mädchen verliebt sich in einen anderen Jungen. Seine Familie bittet nun darum, beide miteinander zu verloben. Aber der Vater des Mädchens will, dass es den von ihm gewählten Mann heiratet. Als das Mädchen merkt, dass es dagegen machtlos ist, flieht es mit dem zweiten Jungen. Weil das Mädchen inzwischen mit ihrem Geliebten geschlafen hat, wird sie wegen Ehebruchs angeklagt. Das war zur Zeit der Taliban. Das Mädchen sollte ausgepeitscht und der Jungen gesteinigt werden. Schließlich hat man auf diese Strafe verzichtet und sie zu 'nur' fünf Jahren Haft verurteilt. Während der politischen Veränderungen, dem Sturz der Taliban, zertrümmerten die Gefangenen das Gefängnistor und flohen. Auch das Mädchen. Später denkt sie: ich sollte den Jungen jetzt gesetzlich heiraten, wie es der Islam verlangt, und geht zum Gericht. Aber die zuständigen Richter sagen zu ihr: Du hast eine Straftat begangen, die musst Du auf jeden Fall zuerst absitzen. Und bis heute hat man nicht anders entschieden - auch die höchste Instanz hat die fünf Jahre Haft bestätigt. Das ist der unglaublichste Fall, für den ich mich momentan einsetze."
"Im zweiten Krieg, dem Bürgerkrieg, den die Mudschaheddin gegeneinander führten, ging es nur um die Macht. Dabei haben sie Kabul total ruiniert. Sie bekämpften sich, obwohl sie schon hohe Posten in der Regierung innehatten - dies aber genügte ihnen nicht. In diesem Bruderkrieg haben sie Afghanistan völlig zerstört, und sehr viele junge Menschen - Frauen wie Männer- sind gestorben. Die sogenannte normale Bevölkerung hasste diesen Krieg.
Die Frauen haben ihre Söhne, Brüder und Ehemänner in diesen Kriegen verloren. Das ist ein Schmerz, der noch lange andauern wird. Aber neben dem Schmerz über den Tod gibt es ja noch die Sorge um die Halbwaisen, zurückgeblieben ohne Brot, Kleidung und Schule. Dieses tragische Schicksal belastet die Frauen sehr, ob in Pakistan, in Afghanistan oder im Iran – immer tragen sie es in sich und leiden bis heute darunter."
Am 5. November 2003 erhält Elke Jonigkeit in Wiesbaden im Schloss Biebrich den Elisabeth-Selbert-Preis.
Die Redakteurin, Ester Schapira, vom Hessischen Rundfunk hatte den Film "Die Frauen von Kabul - Sterne am verbrannten Himmel" für den Preis vorgeschlagen - und die Jury hat ihn für preiswürdig befunden.