Stumme Schreie

Wandinschriften des Warschauer Gestapokellers

In den Gestapokeller in der Aleja Szucha (Warschau) kamen während der Okkupationszeit Polens (1939–1944) politische Häftlinge des „Pawiak“-Gefängnisses, aber auch willkürlich Von-der-Straße-weg-Verhaftete. Der Weg vieler, die die Folterungen überstanden, führte in eines der Konzentrations- und Vernichtungslager, oder zur sofortigen Hinrichtung im Innenhof des Gestapogebäudes.

Die Inschriften bergen die leisen Hoffnungen der Inhaftierten, nicht völlig vergessen zu werden, zeugen vom ungebrochenen Widerstandswillen und der Angst, die eigene Identität zu verlieren. Sie sprechen von Einsamkeit, Trauer, Verzweiflung... aber auch von der Kraft des Glaubens.

Der Film versucht, der Bitte eines Häftlings nachzukommen, der schrieb: „Bitte macht dies Geschehen der Öffentlichkeit bekannt!“, und gedenkt der namenlosen Opfer des Naziregimes – und aller, die wegen ihrer Überzeugung in einem der vielen Gefängnisse der Welt leiden müssen.

Auf Vimeo können Sie den ganzen Film sehen.

Film Kommentar

,,Ich gehe von Zelle zu Zelle, wage · kaum, mit offenen Augen das Halbdunkel zu durchdringen, scheue mich, die ganze Traurigkeit, das ganze Leid, das in diesen Räumen noch immer gefangen ist, in mich aufzunehmen.

Wie viele Männer und Frauen mögen hier gefoltert, misshandelt oder getötet worden sein?

Namen tauchen auf den Wänden auf, Adressen, Daten ... eingeritzt und aufgezeichnet mit verbotenen Gegenständen, hineingekratzt mit den Fingernägeln, manchmal gar geschrieben mit Blut. Einige Inschriften sind noch gut zu lesen, andere übertüncht, ausgelöscht, oder so klein und verwaschen, dass sie nur mit größter Anstrengung zu entziffern sind!

Immer wieder lese ich: 1944, ... 1944 wurde ich - eine Deutsche - geboren, als hier Männer und Frauen auf ihren Tod warteten - und auch Kinder. „13Jahre alt" steht dort, 13Jahre alt ist jetzt mein Sohn.

Und ich? Wäre ich stark genug, für meine Überzeugung im Untergrund zu kämpfen?
Oder so schwach, bei denen zu sein, die schweigen, verhören, foltern, töten ...

Manche Inschriften bergen die leisen Hoffnungen der Inhaftierten, nicht völlig vergessen zu werden, zeigen uns ihre Angst, die eigene Identität zu verlieren; andere zeugen von ungebrochenem Widerstands-willen oder sprechen von der Kraft des Glaubens. Einige sind unvollendet, brechen unvermittelt ab. Was haben die erleiden müssen, die uns nur Kratzspuren hinterließen?

Die Schreie von damals wurden von uns nicht gehört.
Die stummen Schreie an den Wänden dürfen wir nicht überhören."

Entstehungsgeschichte

Während der Spurensuche zu einem Film über Polen besuchen mein Mann Hartmut Kaminski und ich 1980 in Warschau das ehemalige Untersuchungsgefängnis der Gestapo in der Aleja Szucha 25. Dorthin hat sich bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Deutscher gewagt – aber auch in Polen ist das Material nahezu unbekannt.
Was wir im Keller zu sehen bekommen erschüttert uns zutiefst und wir beginnen die Graffiti – besser die Einkratzungen in den Wänden – genau zu studieren. Wir fotografieren mit unserer Fotokamera die Wände und die einzelnen Zellen.

Ein Museumswärter erinnert sich an eine Fotodokumentation, die kurz nach dem Krieg angefertigt wurde und versteckt in einer Schublade unveröffentlicht schlummert. Er ist  dankbar, dass wir  uns für das Geschehen im Gestapokeller interessieren und erlaubt uns, diese großformatigen Negative mit nach Deutschland zu nehmen. Zusammen mit einem Dolmetscher analysieren wir zu Hause diese 1200 Fotos.

Beim Durcharbeiten der Fotodokumentation bemerken wir, dass vorwiegend Namen aufgenommen worden sind, wohl mit der Absicht, Adressen, Daten und Namen der Inhaftierten zu sichern. Einige von uns selbst entdeckten Inschriften fehlen in der Dokumentation, besonders die mit religiösem Inhalt und uns wird ziemlich schnell klar, dass wir über den Film hinaus auch ein Buch und eine Ausstellung machen sollten, damit wir dem Wunsch eines Häftlings  „Bitte macht dieses Geschehen der Öffentlichkeit bekannt!“nach kommen können.

Als wir ein Jahr später im Winter 1981 erneut nach Warschau kommen, um jetzt die Zellenwände der Aleja Szucha mit der Filmkamera abzutasten, verweigert der polnische Staat uns die Dreherlaubnis. Die Analyse der Fotos hatte ergeben, dass der polnische Widerstand gegen die Nazis nicht nur aus Kommunisten bestand, wie das Nachkriegspolen es darzustellen pflegte. Die drei anderen Gruppen AK (Armia Krajowa zu deutsch polnische Heimatfront), religiöse, und sozialistische Kreise waren nicht weniger – eher mehr – daran beteiligt. Das wollte damals jedoch niemand wahrhaben.

So entwickelte wir aus dem Film-Verbot die Idee, die großformatigen Fotos in Deutschland mit der Trickkamera abzufahren, also einen Trickfilm zu herzustellen.