Gesprächsrunde, Terre des Femmes 2005

Frauenrechte in Afghanistan im Blickpunkt des Films

Irene Jung, die Leiterin des Filmfestivals "FrauenWelten" von Terres des Femmes (Tübingen) hatte 2005 - auf Empfehlung von Elke Jonigkeit - die beiden Afghaninnen Parwin Dost und Zakia Haideri nach Deutschland eingeladen. Parwin Dost  - Direktorin eines Mädchengymnasiums in Kabul, in dem mehr als 10.000 (!) Schülerinnen unterrichtet werden, Mitbegründerin des Vereins NAZO e.V. in Afghanistan und Protagonistin in den Afghanistan-Filmen von Elke Jonigkeit -  referierte über die Lebensbedingungen der Frauen in Afghanistan. Zakia Haiderie, Leiterin des Frauenprogramms „Frau und Gesellschaft“ des afghanischen Fernsehens, zeigte während des Filmfestivals einige ihrer Filmbeiträge. Nurullah Ebrahimy übersetzte.
Beide nahmen, ebenso wie Elke Jonigkeit und die afghanische Frauenrechtlerin Sima Simar, an der Gesprächsrunde "Frauenrechte in Afghanistan im Blickpunkt des Films", die Irene Jung organisiert hatte.

Tübingen - "Frauenrechte in Afghanistan im Blickpunkt des Films",

Parwin Doost referierte über die momentane Situation der Frauen in Afghanistan und berichtete ausführlich über das NAZO-Ausbildungszentrum. Zakia Haidari hatte einige TV-Beiträge aus Kabul  mitgebracht und konnte so dem Publikum einen sehr aktuellen Einblick in die Lage der afghanischen Frauen geben.  In ihren Fernsehsendungen thematisiert sie die Probleme, mit denen afghanische Frauen in den Provinzen und den Städten Afghanistans heute zu kämpfen haben. Da Elke Jonigkeit im Laufe von 20 Jahren 8 Filme über die Situation der Frauen in Afghanistan gedreht hat, berichtete sie über ihren Entschluss, sich neben ihrer Filmarbeit direkt für die Verbesserung der Lage der afghanischen Frauen einzusetzen.  Zusammen mit Parwin Dost  und weiteren Protagonistinnen ihrer Filme gründete sie 2002 das Hilfsprojekt.

 

Irene Jung:
Die nächste Frage geht an Parwin Doost. Sie kamen über die Filme ‚Tschadari & Buz Kaschi‘ und ‚Die Frauen von Kabul‘ von Elke Jonigkeit zum Projekt NAZO, das sie mitbegründeten. Aus dem Blickwinkel einer Basis-Frauenorganisation in Kabul: Wie sehen Sie die Situation der Frauenrechte in Ihrer täglichen Arbeit, was für Schwierigkeiten und Erfolge sehen Sie und was ist nötig, um die Situation der Frauen zu verbessern?

Parwin Doost:
Unser Frauenverein in Kabul, NAZO, besteht aus zwei Abteilungen, zum einen dem NAZO-Verein und zum anderen dem NAZO-Zentrum. Im NAZO-Zentrum haben wir Frauen, die zu Hause saßen, zusammengebracht und sie haben die Möglichkeit bekommen, sich für verschiedene Arbeiten fortzubilden. Unser Ziel war und ist es, die Frauen von zu Hause wegzuholen und ihnen einen Weg zu zeigen, wie man Geld verdient, wie man selbständig wird.
Neben dem Ziel, dass die Frauen einen Beruf erlernten, war für uns eine ebenso wichtige Aufgabe, dass die Frauen lesen und schreiben lernten. Des weiteren wird Gesundheitsberatung durchgeführt sowie Rechtsberatung und wir haben einen Kindergarten, in dem die Kinder der Frauen kostenlos betreut werden.

Wenn eine Frau anfängt, Geld zu verdienen, eine Beschäftigung bekommt, ändert sich ihr Leben. Da sie ihre Familie dann auch finanziell unterstützt und zum Überleben der Familie beiträgt, bekommt sie auch gewisse Rechte zugestanden.
Das Grundproblem, als wir anfingen, war, dass die Struktur unserer Gesellschaft den Männern das entscheidende Wort zugesteht und die Frau an zweiter Stelle steht. Wir mussten deshalb das Problem lösen, die Erlaubnis zu bekommen, damit diese Frauen ihr Zuhause verlassen konnten, um einen Beruf zu erlernen. Dazu haben wir mit Vertretern des Gebietes gesprochen, in dem wir das Frauenzentrum eröffnen wollten. Danach sind wir in die Häuser gegangen und haben mit den Leuten geredet, damit sie ihren Frauen und Mädchen erlauben, das Ausbildungszentrum zu besuchen.
So kamen dann einige Frauen zu uns, um einen Beruf zu erlernen. Wir haben 22 Frauen ausgebildet. Es gibt Familien, die es am Anfang erlaubt hatten, dann jedoch nach einer gewissen Zeit ihre Mädchen, ihre Frauen zurückgezogen haben. Da war z.B. ein junges Mädchen, das von den Kursen wegblieb. Zu ihrer Familie schickten wir eine Frau von NAZO gemeinsam mit ihrem Ehemann, und sie argumentierten: "Wir wollen nichts Schlechtes für eure Tochter, wieso vertraut ihr uns nicht? Warum darf eure Tochter nicht weiterhin zu uns kommen?" Letztlich haben sie sie überzeugt, und das Mädchen konnte das Zentrum wieder besuchen. Zum Schluss hat sie ihr Zeugnis bekommen und ist heute eine sehr gute Nähmeisterin. Sie näht zu Hause und unterstützt ihre Familie finanziell. Wenn die Frauen irgendwelche Schwierigkeiten haben, versuchen wir immer, ihre Probleme mit den beschränkten Möglichkeiten, die wir haben, zu lösen.
Das NAZO-Zentrum arbeitet von morgens bis nachmittags um vier Uhr, und schon allein die Tatsache, dass die Frauen bei uns zusammenkommen, ist ein Fortschritt - hier können sie Erfahrungen austauschen, miteinander reden - und so löst sich ein Problem nach dem anderen, oft auch mit Hilfe der anderen Auszubildenden oder Schülerinnen.

Irene Jung:  
Und was ist nötig, damit sich die Situation der Frauen weiterhin verbessert?

Parwin Doost:
Die finanzielle Situation ist ein wichtiger Punkt. Wenn es Frauen gelingt, finanziell unabhängig zu sein, sind sie stark. Und um in Afghanistan diese Position zu erreichen, brauchen sie eine Beschäftigung. Das ist die Ausgangslage, damit sich die Rechte der Frauen verbessern, damit sie ihre Probleme lösen können. Dafür ist wiederum nötig, dass sie einen Beruf erlernen oder alphabetisiert werden, damit sie eine Arbeit annehmen können. Wenn eine Frau ihr Zuhause verlässt, alphabetisiert wird, mit den anderen zusammen ist und sich austauscht, bekommt sie ein ganz anderes Selbstbewusstsein. Und dieses neu gewonnene Selbstbewusstsein ermöglicht es ihr dann auch eher, für ihre Rechte zu kämpfen und ihre Rechte letztlich auch zu bekommen.

Irene Jung:
Zakia Haidari, Sie recherchieren in ganz Afghanistan vor Ort und können durch das afghanische Fernsehen beachtlichen Einfluss ausüben. Wie sehen Sie die Menschen-rechtssituation von Frauen und was denken Sie, können Sie durch Ihr Programm bewirken?

Zakia Haidari
Ich bin eine relativ junge Journalistin und habe auf diesem Gebiet nicht sehr viel Erfahrung. Seit drei Jahren arbeite ich für das afghanische Nationalfernsehen und mache die einzige Sendung über Frauen. Das erste Problem, das Frauen in Afghanistan haben, ist der Widerstand von Seiten der Familie, von Seiten der Ehemänner. Die Frauen, die Analphabetinnen sind, haben kaum die Möglichkeit, in irgendwelchen Büros oder im Regierungsapparat zu arbeiten. Auch NRO benötigen keine Frauen, die nicht gebildet sind. Das bedeutet, diese Frauen haben nur sehr begrenzte Möglichkeiten, eine Arbeit zu finden. Außerdem ist es nötig, mit den afghanischen Männern zu arbeiten. Die Männer sind von der Taliban-Zeit noch stark beeinflusst und können es nicht akzeptieren, dass einige Frauen im staatlichen Fernsehen einer Arbeit nachgehen. Deshalb ist es fast wichtiger, die Männer in Afghanistan zu bilden oder zu informieren, man muss mit den Männern arbeiten.

Die Frage der Gesundheit ist auch ganz wichtig. Für Frauen gibt es kaum Krankenhäuser. Besonders in den Dörfern und außerhalb des Zentrums von Kabul gibt es so gut wie keine Kliniken und Krankenhäuser für Frauen. Jedesmal, wenn ich Krankenhäuser besuche, z.B. die Entbindungsstationen: Auf einem Bettbezug haben 10 bis 20, manchmal sogar 30 Geburten stattgefunden und keiner hat die Bettdecke gewechselt. Es ist unhygienisch, es entstehen Krankheiten und die Frauen nehmen diese Krankheiten mit in ihr Dorf oder mit nach Hause.
In den Provinzen oder außerhalb von Kabul ist der familiäre Widerstand gegen die Frau besonders stark. Ich kann Ihnen dazu eine Geschichte erzählen, die ich erlebt habe. An einem Abend rief mich eine Frau aus Herat an und sagte: ,,Ich bin 27 Jahre alt und bin zwangsverheiratet worden, und jetzt möchte mein Vater meine 16-jährige Schwester mit einem Mann verheiraten, der 45 Jahre alt ist, und meine Schwester will das überhaupt nicht. Sie droht damit, sich selbst zu verbrennen. Ich brauche deine Hilfe, zeige mir einen Weg." Ich habe ihr folgenden Rat gegeben: ,,Rede mit deinen Eltern, rede von deiner Erfahrung, dass du unzufrieden warst in der Zeit, als du heiraten musstest und was das mit sich gebracht hat, wie unglücklich du jetzt bist. Und vor allem erwähne, dass sich deine jüngere Schwester verbrennen möchte."Dann habe ich gefragt, was die Ursache ist. ,,Warum tut dein Vater das, ohne das Einverständnis deiner Schwester?" Dann stellte sich heraus: Der Bruder wollte eine Frau heiraten und die Mitgift, welche die Familie bezahlen musste, war sehr hoch; das konnte die Familie nicht erbringen. Deshalb hatten sie beschlossen, dass sie die andere Tochter praktisch verkaufen, um mit diesem Geld die Hochzeit des Bruders zu finanzieren.
Zuletzt habe ich ihr geraten: ,,Wenn alles nicht hilft, gehe mit deiner Schwester zusammen zum Gericht."
Ich habe ihr einfach Mut gemacht, damit sie diesen Schritt wagten und die Sache öffentlich machten. Ich selbst war sehr neugierig über den Ausgang, konnte keine Ruhe finden, und habe nochmals angerufen und nachgefragt, wie es ausgegangen war. Sie haben, Gott sei Dank, Erfolg gehabt. Der Vater hat es dann doch nicht erzwungen; sie haben die Hochzeit des Bruders eine Zeit lang verschoben, bis sie die Mitgift zusammenhatten, und so ist diese Zwangsverheiratung nicht zustande gekommen. Ob es durch die Androhung des gerichtlichen Prozesses oder der Selbstverbrennung war - was letztendlich gewirkt hat, weiß man nicht, aber dieses Mutmachen hat gewirkt. Es kann natürlich auch sehr gefährlich werden, es kann schief gehen, aber in diesem Fall hat es geholfen.
In meiner Sendung in Afghanistan ist so etwas normal - meine Handynummer wird gesendet und dadurch kommen sehr viele Anrufe zu uns, ob vom Osten oder vom Westen des Landes, obwohl im Westen die Frauen überhaupt keinen Zugang zu Telefonen haben; aber irgendwie schaffen sie es, mich anzurufen, und ich versuche, so gut wie ich kann, zu helfen. Aber die Männer müssen einfach auch erzogen werden.

Irene Jung:
Sie haben, wie wir sehen, auch einen Schritt hinter die Kamera getan, greifen direkt in die Wirklichkeit ein und beraten die Frauen. Aber wie sehr denken Sie, ist Ihr Programm an sich wirksam und kommt es auch bei den Männern an - wird es von Männern gesehen und bewirkt es auch Veränderungen in ihnen?

Zakia Haidari:
Ich bin die Macherin dieser Frauensendung. Meine Sendezeit beträgt 40 Minuten, zweimal im Monat. Mein Ziel jeder Sendung ist es, die Aktivitäten der Frauen aufzuzeigen. Besonders zeige ich aktive Frauen, damit dies andere Frauen ermutigt und motiviert, auch etwas zu tun. Ich spiegele auch die Probleme dieser aktiven Frauen wider. Sie werden so dargestellt, dass die zuständigen Behörden - ob es jetzt die afghanische Regierung, die Polizei oder die Gerichte sind - konfrontiert werden mit den Problemen, die sie eigentlich zu lösen haben. Das ist mein Ziel, die Probleme in ihrer Gesamtheit darzustellen.
Da das afghanische Fernsehen momentan digital gesendet wird, wird die Sendung sogar weit weg in den Nachbarländern gesehen. In Afghanistan können wir nicht wissen, wie viele Leute genau die Sendung sehen. Aber von den Reaktionen, die danach kommen, von den Telefonaten und Emails, die ich bekomme, oder von Frauen, die selbst kommen, um mich zu besuchen, sogar Frauen aus Kandahar, ziemlich weit weg von Kabul - das gibt mir die Zuversicht, dass viele Menschen diese Sendung sehen. Es sind auch Beschwerden dabei, meistens Beschwerden von Männern: ,,Was hast du denn aus unseren Frauen gemacht?" So weiß ich, dass viele diese Sendung sehen.“

IreneJung
Elke, zu unserem speziellen Thema des Filmemachens innerhalb dieser sozialen Wirklichkeit, dieser schwierigen Situation von Frauen, von Menschenrechtsverletzungen an Frauen: Wie kamst du dazu, Filme in Afghanistan zu machen? Wie kam es dann dazu, dass du dich konkret in einem Projekt engagiert hast und was bedeutet es für dich, ein Standbein hinter der Kamera und eines in der Wirklichkeit zu haben, die du gefilmt hast?

Elke Jonigkeit
Ich mache schon sehr lange Filme, und zwar Dokumentarfilme, seit ungefähr 30 Jahren. Der erste Schwerpunkt meiner Arbeit war die Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus in Polen und in der Sowjetunion. Zu der Zeit saß ich also immer Augenzeugen gegenüber, die mir ihre Schicksale erzählten. Ich kam dann nach Hause und formte daraus einen Film. Die Filme wurden damals im Kino häufig im Zusammenhang mit Diskussionen vorgeführt oder im Fernsehen gesendet, und dann kam der nächste Film. Im Laufe der Jahre entwickelte sich bei mir doch eine sehr große - Frustration will ich nicht sagen, aber irgendwie hat etwas gefehlt. Man nimmt, nimmt, nimmt, man nimmt diese einzelnen Schicksale der Menschen, verbreitet sie zwar in einem Film, aber man gibt nichts zurück. Man nimmt das Leben auf, gestaltet es und nimmt ein neues Leben auf.
Dann kommt hinzu, dass ich mir nach mehr als zehn Jahren dieser Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus gesagt habe: ,,Also das kann ich ein Leben lang nicht machen",weil es mich sehr betroffen gemacht hat. Ich als Deutsche saß dann immer den Opfern des deutschen Faschismus gegenüber und ich dachte, wenn ich das bis zu meinem Lebensende mache, dann werde ich das nicht durchhalten und beschloss, mich einem anderen Thema zuzuwenden. So lernte ich durch Zufall Nurullah Ebrahimy kennen, während ich auf der Suche nach einem neuen Betätigungsfeld war. Ich wollte vor allem nichts mit Krieg zu tun haben. Ich wollte eine andere Kultur kennenlernen und in eben diesem Augenblick lerne ich Nurullah Ebrahimy kennen, der gleich aufsprang auf diesen Zug, obwohl er gerade Flüchtling war. Die Flüchtlingsfrage stand am Anfang gar nicht im Mittelpunkt. Er stellte mir einen sehr guten Kontakt zu einer Bekannten von ihm her, die nach Pakistan zurückflog, um an einer Hochzeit teilzunehmen. Und so machte ich mich auf den Weg, um die afghanische Kultur kennenzulernen. Und wie es das Schicksal wollte, saß ich zwar nicht mehr den Opfern des deutschen Faschismus gegenüber, aber den Opfern des Kriegsgeschehens in Afghanistan. Daraufhin habe ich für mich beschlossen, nicht weiter nach einem neuen Thema zu suchen, sondern dies eben als Schicksal angenommen und mich mit Afghanistan beschäftigt, mit dem Schwerpunkt Frauen.
So kam es, dass ich den ersten Film in Pakistan im Flüchtlingslager mit afghanischen Frauen drehte. Dem ersten Film folgte ein zweiter, ein dritter, ein vierter, und dann Tschadari und Buz Kaschi, den ich 1985 angefangen und 1989 fertiggestellt habe. In diesem Film lernte ich Parwin Doost kennen. Es ist ein Dokumentarfilm und zeigt einerseits Bilder aus einem Flüchtlingslager in Pakistan: wie die Frauen in den Flüchtlingslagern leben, wie sie indoktriniert werden von dem damals schon sehr stark vorhandenen Fundamentalismus, was die westliche Welt nicht sehen wollte, nicht wahrhaben wollte. Und auf der anderen Seite bin ich nach Kabul gefahren, in das damals sowjetisch besetzte Kabul, um zu sehen, wie die Menschen in Afghanistan leben und eben nicht in den Flüchtlingslagern.

Es war sehr schwierig, damals in Kabul direkt mit dem Filmteam einzureisen. Ich bin Dokumentarfilmerin, mir genügt es nicht, wenn ich zehn Tage - oder heute macht man es sogar in sieben Tagen - in ein Land fahre und eine Reportage darüber mache. Ich wollte das Land sehr viel länger bereisen. Dafür nutzten mir dann meine damals guten Beziehungen zu der Sowjetunion, denn zu der Zeit machten wir einen Sechsteiler für das Fernsehen, Steh auf, es ist Krieg- Überfall auf die Sowjetunion 1941. Diese Verbindung kam mir zugute, denn ich bekam tatsächlich von der damaligen Regierung unter Herrn Gorbatschow ein Einreisevisum mit meinem polnischen Kameramann, der sehr gut russisch sprach,  um uns in Afghanistan zwei Monate aufhalten zu können. In diesem Zusammenhang lernte ich Parwin kennen, die zu einer der Hauptfiguren des Films wurde.
Und jetzt kommt eine ganz lange Pause - 1990 verlassen die Sowjets Afghanistan und die westliche Welt hört auf, sich um Afghanistan zu kümmern. Es war deshalb nicht mehr möglich, in irgendeiner Weise eine Produktion finanziert zu bekommen, zumindest nicht für mich, die ich ja immer einen gewissen Schwerpunkt Frauen hatte. Die nächsten 13 Jahre konnte ich also keine Geldgeber für das Thema Afghanistan interessieren. Dann kam der 11. September 2001, und plötzlich stand Afghanistan komplett im Mittelpunkt der öffentlichen Berichterstattung. Diese Situation habe ich sofort genutzt und bin im Januar 2002 mit einer spanischen Militärmaschine losgeflogen, völlig allein mit meiner Kamera - in der Zwischenzeit hatte ich mir eine Digitalkamera angeschafft, die man leicht alleine transportieren kann, und ich hatte keinen Kameramann gefunden, der dieses Abenteuer wagen wollte. Ich bin also nach Kabul geflogen und wusste in keiner Weise, was auf mich zukommen sollte. Ich dachte mir, irgendwie werde ich das schon bewältigen. Ich wollte einen neuen Film machen und die Frauen suchen, mit denen ich Jahre zuvor Tschadari & Buz Kaschi gedreht hatte. Ich muss schon sagen, es war wirklich ein sehr verwegenes Unterfangen - im Nachhinein wundere ich mich schon, dass ich es einfach so gemacht habe - in eine komplett zerstörte Stadt, wo gar nichts funktioniert, einfach einzureisen und davon auszugehen, in einer Millionenstadt vier, fünf Frauen zu finden. Aber das Schicksal wollte es eben so. Ich habe tatsächlich drei Frauen wiedergefunden und mit diesen den Film gemacht, und sie haben mich wiederum mit anderen Frauen bekannt gemacht. So hatte ich also auch Parwin wiedergefunden, die die Hauptprotagonistin des neuen Films Die Frauen von Kabul - Sterne am verbrannten Himmel wurde. Und eine dieser drei Frauen sagte zu mir: ,,Uns geht es Ja noch gut, wir haben ein Dach über dem Kopf, wir sind gebildet; aber wir müssen irgendwas tun für diese Frauen," - sie meinten  damals vor allem die Kriegerwitwen  - ,,die gar nichts haben".
Nun kam ich ja aus dem Westen, und Sie wissen selbst, wie wir hier leben. Ich hörte mir das dann an vor dem schon erwähnten Hintergrund, dass ein abgedrehter Film immer eine Leere hinterlässt, dass man nichts zurückgibt, besonders, wenn man über solch problematische Themen arbeitet. So habe ich das auch als Chance begriffen und habe gedacht: ,,Ja, tatsächlich, man muss etwas tun". Wir haben zusammen mit Parwin, Hafiza und verschiedenen anderen Frauen in Afghanistan überlegt, was man machen könnte und sie sagten - so, wie sie es eben selbst erläutert hat, dass das Wichtigste sei, Bildung zu erlangen, Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, dass die Frauen Geld verdienen, damit sie ihr Selbstbewusstsein aufbauen können. Und so schließt sich irgendwie der Kreis, denn ich sehe es als Chance, dass ich jetzt etwas zurückgeben kann. Wir selbst haben auch hier einen Verein gegründet, NAZO-Deutschland. Wir machen Veranstaltungen und dafür sind wieder meine Filme gut, die man zeigen kann, über die man diskutieren kann.
lreneJung
Und was hat es für Dich bedeutet, dass du nun aktiv eingegriffen hast?

Elke Jonigkeit
Zum einen mache ich schon seit sehr langer Zeit Filme. Früher konnten wir sehr häufig mit den Zuschauern über die Filme diskutieren, die Rezensionen in der Presse waren relativ umfangreich bei Fernsehsendungen. Im Laufe der Zeit hat sich das weiter auseinander entwickelt. Als ich  angefangen  habe  mit dem Filmen, gab es drei staatliche Sender, da ist natürlich die Aufmerksamkeit für ein Programm wesentlich intensiver als heute, wo es so viele Sender gibt. Das Feedback ist heute gering. Diese Sache - denke ich - hat dazu geführt, dass ich mit diesem Projekt NAZO sehr stark verbunden bin, weil es eben eine ganz konkrete Arbeit ist, und eine andere Art von Feed-back. Ich sehe die Frauen, wenn ich dorthin fahre, Nurullah telefoniert häufig, ich kann ganz konkret die Entwicklung verfolgen. Am Anfang war es eine Ruine, jetzt ist es ein funktionsfähiges Haus geworden. Die Menschen, die Frauen, die darin arbeiten, haben sich sehr weiterentwickelt. Das sehe ich als Person, die viel vom Optischen ausgeht, ich sehe das deutlich. Die Frauen gehen inzwischen ganz anders. Ich mache ja immer Filmaufnahmen, wenn ich dorthin komme, und beim letzten Mal haben sie zum Abschluss ihrer Ausbildung ihre Prüfungskleider genäht. Und dabei habe ich sie dann aufgefordert, vor der Kamera so etwas wie eine Modenschau zu machen. Ich habe sehr genau beobachtet, wie sie gehen - man schaut als afghanische Frau immer auf den Boden beim Gehen - und jetzt sind sie gerade gegangen, haben ihr Gegenüber angeschaut und sogar den ganzen Raum durchschritten. Das sind einfache Beispiele vom Optischen her. Es ist eine sehr zufrieden stellende Arbeit, auch wenn es sich in diesem Fall um langwierige Aufbauarbeit handelt.

 


Fotoausstellung, 2003