Das 20. Jahrhundert
Das vergangene 20. Jahrhundert wird aus dem Blickwinkel der Frau reflektiert.
Der tiefgreifende gesellschaftliche Wandel zu Beginn des gerade vergangenen Jahrhunderts wurde nicht nur in der Kunst sichtbar, sondern auch im Verhältnis der Geschlechter zueinander: Nun meldeten sich auch die Frauen zu Wort, formulierten neue Erwartungen an die Zukunft und konnten im Laufe der Zeit unerhört vieles erreichen - den Zugang zu Bildungseinrichtungen, politische Mitsprache, Ausübung qualifizierter Berufe, finanzielle Selbständigkeit usw.
Für jedes Jahr kann mindestens ein frauengeschichtliches Ereignis aufgerufen werden.
Erstes Jahrzehnt (1900 - 1910) mit 25 herausragenden Errungenschaften von Frauen
1900
Wider den Militarismus
Rosa Luxemburg hält auf dem internationalen Sozialistenkongreß in Paris ihre berühmte 'Rede wider den Militarismus und die stehenden Heere'. 1914 wird sie wegen ihres antimilitaristischen Kampfes zum ersten Mal inhaftiert. Im Gefängnis schreibt sie die Leitsätze zur Gründung des Spartakusbundes. Nach ihrer Befreiung 1918 ist sie Mitbegründerin der Kommunistischen Partei Deutschlands. Wenige Tage später wird sie verhaftet und am 15.1.1919 zusammen mit Karl Liebknecht in Berlin ermordet.
1900
Frauenstudium in Deutschland
Mit dem Argument, weibliches Schamgefühl erfordere die Existenz von Ärztinnen, setzen Frauen durch, im Deutschen Reich Medizin studieren zu dürfen. Vorher mußten Frauen zum Medizinstudium ins Ausland gehen, wie z.B. Henriette Hirschfeld, Deutschlands erste Zahnärztin, oder Franziska Tiburtius, die erste praktizierende Ärztin in Berlin. In Frankreich dürfen Frauen bereits seit 1861 studieren. Nach statistischen Erhebungen studieren die meisten Frauen Naturwissenschaften und Medizin. Frankreich ist das einzige Land in Europa, in dem die Zahl der Lehrerinnen und die der Lehrer ungefähr gleich ist. Im November wird den Französinnen auch erlaubt, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Damit haben sich die französischen Frauen eine weitere Männerdomäne erobert.
1901
Von Gummihütchen und ...
Die Ärztin Anna Fischer Dückelmann gibt das Buch 'Die Frau als Hausärztin' heraus. Das Buch wird in sieben Jahren 500.000 mal verkauft und in zehn Sprachen übersetzt. Die Autorin will mit ihrem Buch Frauen über ihren Körper aufklären, ihnen praktische Ratschläge für ihre körperliche und seelische Gesundheit geben. Sie beschreibt die , "Gummihütchen" oder "Pessaren" die in die Vagina eingeführt und über den Muttermund geschoben werden. Die in Zürich promovierte Ärztin betont jedoch, daß diese Verhütungsmethode nicht absolut sicher sei, empfiehlt sie aber trotzdem den "bedauernswerten, übermäßig fruchtbaren, meist kleinen schwächlichen Frauen, die von 4 oder 5 rasch aufeinander folgenden Kindern schon ganz erschöpft sind."
1902
Frauenpartei in Australien
Vida Goldstein fand in den etablierten Parteien keine Interessenvertretung für Frauen. Deshalb gründete sie nach der Erringung des Frauenwahlrechts (1902!) eine Frauenpartei und startete eine Kampagne, die Frauenfragen zum ersten Mal politikfähig machte. Außerdem gründete die Pazifistin und Sozialreformerin 1900 die erste Frauenzeitschrift. 'The Australian Woman's Sphere' galt als wichtigstes Publikationsorgan für Fraueninteressen.
1903
Der freie Tanz
Am 7. Januar gibt die in San Francisco geborene Tänzerin Isadora Duncan dem "Berliner Tageblatt" ein Interview, in dem sie ihre Auffassung vom modernen Tanz beschreibt. Er dürfe "nicht eingezwängt werden in harte Formen, die jeder Empfindung bar sind". Sie brach - barfuß tanzend - mit den Traditionen des klassischen Balletts und kreierte den "freien Tanz". In New York hatte sie damit wenig Erfolg, der stellte sich erst in Europa ein. Die Berliner Kritiker feiern Isadora Duncan als die "Neuentdeckerin" des Tanzes. Wie den freien Tanz proklamiert sie auch die freie Liebe und gibt nie die Namen der Väter ihrer beiden Töchter bekannt.
1903
Suffragetten und die Mititanz
Die britische Frauenrechtlerin Emmeline Punkhurst und vier weiteren Frauen rufen in Manchester die Women's Social and political Union (WSPU) ins Leben, eine Frauenrechts-Bewegung. Auch ihre Töchter Sylvia und Christabel sind in der WSPU aktiv, deren Methoden sich immer mehr radikalisieren und schließlich sogar Brand- und Bombenanschläge umfassen. Pankhurst und ihre Anhängerinnen werden deshalb mehrmals verhaftet. Verbittert über den jahrzehntelangen Kampf der gemäßigten Stimmrechtsbewegung bekennen sich die Suffragetten ab 1910 zur Militanz.
1903
1. Mädchenschule in Indonesien
Raden Adjeng Kartini ist eine leidenschaftliche Frauenrechtlerin in kollonialer Zeit. Sie leistet auf dem Gebiet der Mädchenbildung Pionierarbeit. Ihr Geburtstag wird in allen Mädchenschulen auch heute noch gefeiert. Sie protestierte gegen die Unfreiheit der Frauen, gegen die Sitte, junge Mädchen gegen ihren Willen zu verheiraten und gegen die Polygamie. Vier Tage nach der Geburt ihres Sohnes stirbt die erst 24 jährige Frauenrechtlerin. 1964, 60 Jahre nach ihrem Tod, wird Raden Adjeng Kartini in Indonesien zur Nationalheldin.
1903
1. Nobelpreisträgerin
Marie Curie nimmt am 10. Dezember als erste Frau in Stockholm den Nobelpreis für Physik entgegen.
Sie wurde als Maria Salomea Skłodowska geboren, war Physikerin und Chemikerin polnischer Herkunft, lebte und wirkte jedoch in Frankreich.
1911 wird ihr ein zweites Mal ein Nobelpreis verliehen: in der Disziplin Chemie.
Nach dem Tod ihres Mannes 1906, mit dem sie über ein Jahrzehnt lang eng zusammen gearbeitet hat, übernimmt sie seine Professur an der Sorbonne (Paris). Sie ist damit auch die erste Professorin überhaupt.
1935 erhält ihre älteste Tochter Irène Joliot-Curie ebenfalls den Nobelpreis für Chemie.
1904
Weltbund für Frauenstimmrecht
In Berlin gründen Frauenrechtlerinnen den Weltbund für Frauenstimmrecht. In internationaler Einigkeit verkünden sie das Menschen- und Bürgerrecht der Frau.
Dem Weltbund treten sofort Organisationen aus den USA, Norwegen, den Niederlanden, Deutschland, Dänemark und Schweden bei. Die Länder, in denen noch keine nationalen Stimmrechtsorganisationen bestehen, werden durch Einzelpersonen vertreten.
1905
Skandal um Frauenfrage
Annie Kenney ist es, die gemeinsam mit Christabel Pankhurst die erste militante Aktion der Frauenrechtsbewegung durchführt und dafür prompt verhaftet wird. Siefragt auf einer öffentlichen Versammlung den Redner der Regierung: "Wird die liberale Regierung den Frauen das Stimmrecht geben?" Als auch zum dritten Mal die Frage unbeantwortet bleibt, steigt sie auf einen Stuhl und stellt die Frage so laut wie möglich. In diesem Moment stürmen Saalordner herbei, stürzen die Fragende vom Stuhl, treiben sie aus dem Saal und Kenney wird für drei Tage im Strangeways-Gefängnis inhaftiert.
Der liberale Politiker Edward Grey erläutert später, er habe die Frage nicht beantwortet, weil sie keine Parteifrage sei und es hoffentlich auch nie eine werde.
1905
Friedensnobelpreis
Die Österreicherin Bertha von Suttner erhält für ihren pazifistischen Roman 'Die Waffen nieder', der schon in der 37. Auflage erscheint, der Friedensnobelpreis. Er wird damit erstmals an eine Frau vergeben. Bertha von Suttner war es auch, die Alfred Nobel im Jahr 1892 zur Stiftung des Friedensnobelpreises anregte. Sie setzt sich zeitlebens für den Frieden ein und gründet 1891 die österreichische Gesellschaft der Friedensfreunde.
1905
Entlohnung der Hausarbeit
Käthe Schirmacher erläutert und begründet in ihrer Schrift 'Die Frauenarbeit im Hause, ihre ökonomische, rechtliche und soziale Wertung', warum Hausarbeit bezahlt werden muß. "Der Mann wird für zwei bezahlt, weil sein Arbeitgeber, sei es der Staat oder ein Privater, die berufliche Leistung des Mannes nur dann erhalten kann, wenn er den Mann in Stand setzt, sich bei der ihm unentgeltlichen Hausarbeit durch eine Frau vertreten zu lassen."
Es wird Zeit, dass sich dieses Gedankengut ein Jahrhundert später durchsetzt!
1906
Fauen Wahlrecht in Finnland
1906 wollte sich die finnische Bevölkerung von der Herrschaft des Russischen Reichs befreien, um ihre Unabhängigkeit zurückzugewinnen. Es kommt zu Protesten, in denen die Arbeiterbewegung, in der Frauen eine wichtige Rolle spielen, die soziale Ungleichheit bekämpft. Das Wahlrecht für alle war eines der zentralen Themen ihres Kampfes.
Am 20. Juli 1906 bestätigte der Zar die neue Landtagsverordnung. Das Ständesystem Finnlands wird durch ein Einkammer-Parlament ersetzt, das in allgemeinen und gleichen Wahlen bestimmt wird. Nun dürfen alle finnischen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen ab 24 Jahren wählen – unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrem gesellschaftlichen Stand.
Auch im 21. Jahrhundert ist Finnland Vorreiterin auf dem Feld der Gleichberechtigung: Dezember 2019 übernimmt Sanna Marin als jüngste Regierungschefin weltweit das Amt der Ministerpräsidentin Finnlands.
1907
USA und der Muttertag
Anne M. Jarvis entschließt sich am 2. Todestag ihrer Mutter, für die Idee zu werben, daß alle Menschen auf der Welt an einem Tag im Jahr ihre Mütter ehren sollen. 1914 unterzeichnet US-Präsident Wilson ein Gesetz, das diesen Tag zum gesetzlichen Feiertag erhebt.
Der Blumenhandel versteht es, aus dem Muttertag ein ertragreiches Geschäft zu machen. Die Gründerin des Muttertages wandte sich jedoch entschieden gegen die Kommerzialisierung dieses Tages.
1984 treffen sich in Bonn 15.000 Frauen zur 'Aktion Muttertag' unter dem Motto: "Nicht nur Blumen, sondern Rechte fordern wir!"
1907
Erziehung neu denken
Die italienische Ärztin und Pädagogin Maria Montessori revolutioniert mit ihrem Grundsatz - 'Hilf mir, damit ich es selbst tue' - das Erziehungswesen. Sie ist die erste Italienerin, die in Medizin promoviert. Montessori entwickelt didaktische Methoden und Materialien, mit denen sie zunächst geistig behinderte Kinder, später auch normal begabte Kleinkinder in ihrer Entwicklung fördert. Ihre Methode setzt eine pädagogisch gestaltete Umgebung voraus, in der die Kinder selbsttätig auf Gegenstände aufmerksam werden und damit spielerisch lernen. So sollen Kreativität und Entscheidungsfähigkeit des Kindes positiv beeinflußt werden. 1936 flieht sie über England nach Indien, 1947 kehrt sie nach Italien zurück.
1907
Berta und Magarete Krupp
Margarethe Krupp übernimmt als gesetzliche Vertreterin ihrer unmündigen Tochter Bertha Krupp vorerst die Leitung des Gußstahlunternehmens Friedrich Krupp in Essen: Die Kontinuität in der Führung des inzwischen 43.000 Beschäftigte umfassende Unternehmen ist damit gewährleistet. Margarethe Krupp gründet 1907 eine Stiftung für Krankenpflege, die den Frauen der Werksangehörigen zugute kommt. Nicht nur die Arbeiter selbst, auch ihre Familien werden in das System betrieblicher Sozialeinrichtungen einbezogen. (die erst 16 jährige Berta Krupp war 2002 nach dem Tod ihres Vatera als Alleinerbin eingesetzt worden.)
1907
Afrika lockt
Adda von Liliencron gründet nach dem militärischen Sieg der Deutschen über die aufständischen einheimischen Völker in den deutschen Kolonien - bei dem die Hereros fast vollständig ausgerottet werden - einen Verein, der Frauen und Mädchen zur Auswanderung nach 'Deutsch-Südwestafrika' bewegen soll.
1907
Paula Modersohn-Becker
Am 20. November stirbt die Malerin Paula Modersohn-Becker, wenige Wochen nach der Geburt ihrer Tochter im Künstlerdorf Worpswede. Paula Modersohn-Becker gilt als eine Wegbereiterin der modernen Malerei in Deutschland. Ihre Bilder sind stark gefühlsbetont, zeichnen sich durch einfache Formen, große Flächen und konturhafte Figuren aus. Sie lässt sich von der Pariser Avantgarde beeinflussen und verarbeitet diese Eindrücke zu einem ganz eigenen Stil.
1908
Unternehmen Kaffeefilter
Melitta Bentz erfindet in Dresden den Kaffeefilter und beginnt mit der Produktion von Kaffeefiltern. Schon 1912 bürgt ihr Name für den guten Kaffeefilter schlechthin.
Kaffeekrümmel zwischen den Zähnen - für Hausfrau Melitta Bentz aus Dresden unerträglich. Sie greift 1908 zu Hammer und Nagel und durchlöchert damit den Boden eines Messingtopfs. Darauf legt sie zugeschnittenes Löschpapier aus den Schulheften ihrer Söhne. Den Topf stellt sie auf eine Kanne, gibt Kaffeepulver hinzu, heißes Wasser und schon tropft der Kaffee klar und ohne Satz in die Kanne. Der Kaffeefilter ist erfunden - und bis heute erfolgreich.
1909
Frauen heben ab
Die Französin Raymonde Delaroche fliegt 300m weit. Im folgenden Jahr unternimmt sie einen Flug von 7 Minuten Dauer und erwirbt damit auch als erste Frau der Welt die Pilotenlizenz. Im Jahr 1913 gewinnt Delaroche mit einem Flug von 160 Meilen den 'Coupe Fémina', einen Preis, den die Zeitschrift Fémina 1910 für Pilotinnen ausgeschrieben hat. Zwischen 1910 und 1914 erwerben über 40 Frauen in der ganzen Welt den Pilotenschein, obwohl ihnen von den Männern der Weg dorthin nicht leicht gemacht wird. Die Pilotinnen beteiligen sich an Flugmeetings, Kunstflugvorführungen und Langstreckenflügen - und sind dabei sehr erfolgreich.
1909
Literatur-Nobelpreis
Für die schwedische Erzählerin Selma Lagerlöf geht damit ein Kindheitstraum in Erfüllung. "Seit meinem siebten Lebensjahr schwebte mir als schönster Traum vor, einmal Schriftstellerin zu werden", erinnert sie sich. Die ausgebildete Lehrerin nimmt die Stoffe ihrer Erzählungen aus der nordischen Sagenwelt und der Tradition ihrer Heimat. Ihr Buch "Die Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen" (1906) wird in über 30 Sprachen übersetzt.
1910
Frauen-Filmgesellschaft
In den USA baut die Regisseurin Alice Guyeine Filmgesellschaft auf, die sie 'Solax' nennt. In den folgenden Jahren dreht sie mit 'Solax' über 70 Filme. Mit ihrem ersten Film 'Die Fee in den Kohlköpfen' (1896) hat sie möglicherweise auch den Spielfilm, dessen Entstehungsjahr umstritten ist, erfunden.
2010
Nackt auf der Bühne
Mata Hari, die niederländische Tänzerin, vertraut einem Freund an: "Ich habe nie gut getanzt, daß die Menschen kamen, um mich zu sehen, verdanke ich nur der Tatsache, daß ich es als erste wagte, mich unbekleidet der Öffentlichkeit zu präsentieren." Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges, als dem Pariser Publikum fürs Tanzen das Geld ausgeht, zieht sie nach Berlin und läßt sich für 20.000 Mark mit dem deutschen Geheimdienst ein: nicht aus politischen Beweggründen, sondern weil sie auch in Kriegszeiten den gewohnten luxuriösen Lebensstil nicht aufgeben will. 1916 erhält sie auch ein Spionageangebot des französischen Geheimdienstes, die ihr jedoch auf die Schliche kommt. 1917 wird sie als Spionin erschossen.