Das 20. Jahrhundert
Das vergangene 20. Jahrhundert wird aus dem Blickwinkel der Frau reflektiert.
Der tiefgreifende gesellschaftliche Wandel zu Beginn des gerade vergangenen Jahrhunderts wurde nicht nur in der Kunst sichtbar, sondern auch im Verhältnis der Geschlechter zueinander: Nun meldeten sich auch die Frauen zu Wort, formulierten neue Erwartungen an die Zukunft und konnten im Laufe der Zeit unerhört vieles erreichen - den Zugang zu Bildungseinrichtungen, politische Mitsprache, Ausübung qualifizierter Berufe, finanzielle Selbständigkeit usw.
Für jedes Jahr kann mindestens ein frauengeschichtliches Ereignis aufgerufen werden.
zehntes Jahrzehnt (1991 - 2000) mit 24 herausragenden Errungenschaften von Frauen
1991
Aung San Suu Kyi erhält den Friedensnobelpreis
Die birmanische Bürgerrechtlerini n ihrer Heimat Birma unter Hausarrest steht, fliegt ihr 18jähriger Sohn Alexander nach Oslo und nimmt den Preis in Oslo entgegen.
Der gewaltlose Einsatz für demokratische Reformen in Birma bringt Aung San Suu Kyi weltweite Achtung ein und macht sie zur größten Gefahr für das Militärregime in Birma. Auf Grund internationalen Drucks wird der Hausarrest gegen sie 1994 gelockert, ein Jahr später aufgehoben. Seither weigert sie sich beharrlich, das Land zu verlassen. Ihren überwältigenden Sieg bei den freien Wahlen von 1990 hat das Militärregime einfach ignoriert.
1991
BRD: Freie Namenswahl für Frauen bei Heirat
Das Bundesverfassungsgericht erklärt das bisher in Deutschland gültige Namensrecht, nach dem die Frau bei der Eheschließung den Nachnamen des Mannes annehmen muss, falls sich das Paar nicht auf einen gemeinsamen Namen einigen kann, für verfassungswidrig. Die Regelung sei nicht mit dem im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz von Frauen und Männern zu vereinbaren.
1991
Serbien: Mütter demonstrieren gegen die Einberufung ihrer Söhne
Einige Tage nach Beginn des jugoslawischen Bürgerkrieges dringen Mütter von Soldaten spontan in das Parlament von Belgrad ein und verlangen die Rückkehr ihrer Söhne. Andere Mütter und Ehefrauen umstellen die Kasernen, um zu verhindern, dass ihre Angehörigen in den Krieg ziehen. Später fahren die Frauen - allerdings vergeblich - nach Kroatien, um ihre Söhne, Ehemänner und Brüder heimzuholen.
Der spontanen Aktion der Belgraderinnen schließen sich auch Frauen aus der kroatischen Hauptstadt Zagreb an. Der Frauenprotest ist Auftakt für die sogenannte Mütterbewegung.
1992
Indianerführerin Rigoberta Menchú erhält den Friedensnobelpreis
Damit wird ihr Einsatz gegen die Unterdrückung der Indianer in Guatemala gewürdigt. Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Indianerführerin fällt mit dem 500. Jahrestages der Entdeckung Amerikas durch die Weißen zusammen und rückt die bis heute andauernde Diskriminierung der amerikanischen Urbevölkerung ins Rampenlicht.
1992
§ 218 und kein Ende
Nach einer 14stündigen Debatte über den § 218 entscheidet sich die Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages für den fraktionsübergreifenden Gruppenantrag, der eine Fristenlösung vorsieht. Der von allen Fraktionen eingebrachte Antrag sichert den Frauen zu, dass der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen straffrei bleibt. Durch eine Beratung und soziale Maßnahmen soll der Frau die Entscheidung für das Kind erleichtert werden. Nach der Abstimmung kündigt Bayern an, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anzurufen, um das Inkrafttreten der Neuregelung des § 218 am 1. Januar 1993 zu verhindern.
1993
Die US-amerikanische Schriftstellerin Toni Morrison erhält als erste afroamerikanische Frau den Literaturnobelpreis.
1993
Bei den Filmfestspielen in Cannes gewinnt der Film einer Frau die 'Goldene Palme'
Die neuseeländische Regisseurin Jane Campion wird für ihren Wettbewerbsbeitrag "Das Piano" mit der höchsten Auszeichnung des international renommiertesten Filmfestivals ausgezeichnet.
1994
Kunstsammlung NRW: Künstlerinnen und Kunstinteressierte protestieren
In der hochdotierten Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, die ganz der Kunst des 20. Jahrhunderts gewidmet ist, wird kein einziges Werk einer Künstlerin gezeigt, nur 3 Werke wurden angekauft. Dagegen protestieren vor allem junge Absolventinnen der Kunstakademie Düsseldorf am 8. März (sie wiederholen die Aktion 1995 und 1996).
Die Ankaufspolitik der Kunstsammlung NRW bleibt weiterhin frauenfeindlich, doch in Wechselausstellungen werden Werke von Frauen in den folgenden Jahren vermehrt gezeigt.
Nordrhein-Westfalen, das bedeutendste Bundesland Deutschlands für die zeitgenössische bildende Kunst, beherbergt in seinen Museen nur zu 2 - 5 % Werke von Künstlerinnen.
Bereits 1992 und 1993 sind Studien des Bundesinnenministeriums bzw. der Landesregierung NRW erschienen, die die Benachteiligung von Künstlerinnen auf allen Ebenen (Stipendien, Ankäufe, Ausstellungen, Kataloge) statistisch dokumentieren.
1994
Der bundesweite Gabriele-Münter-Preis wird ins Leben gerufen, der das Lebenswerk von Künstlerinnen würdigt
Er erinnert an die Malerin Gabriele Münter, die 1909 zusammen mit Wassily Kandinsky und Franz Mark die Künstlergruppe "Blauer Reiter" gründet und zur ersten Ausstellung, 1911 in München, die meisten Bilder beisteuert. Die Jahre 1908 und 1909 sind die wichtigsten für ihr Werk:
"Ich habe nach einer kurzen Zeit der Qual einen großen Sprung gemacht - vom Naturabmalen (mehr oder weniger impressionistisch) - zum Fühlen eines Inhalts - zum Abstrahieren - zum Geben eines Extrakts", schreibt sie in ihr Tagebuch.
Die totale Abstraktion, wie sie ihr Lebensgefährte Kandinsky 1910 vollzieht, lehnt sie jedoch ab und bewahrt ihren eigenen Stil.
Der Gabriele-Münter-Preis wird vom Frauenmuseum in Bonn organisiert.
Im Jahr 2000 wird der Gabriele-Münter-Preis an die Malerin Rune Mields vergeben.
1995
erstmalig wird ein Film einer deutschen Regisseurin ein Publikumsrenner
Der Spielfilm 'Männer' von Doris Dörrie schlägt alle Zuschauerrekorde - sogar Hollywood wird auf sie aufmerksam.
1995
In Peking wird die vierte Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen abgehalten
Etwa 30.000 Frauen aus 189 Ländern treffen sich in der chinesischen Hauptstadt.
Hillary Clinton - die Frau des amerikanischen Präsidenten - verlangt in einer viel beachteten Rede, dass Frauenrechte als Menschenrechte anerkannt werden. Zugleich kritisiert sie die in vielen Ländern vorgenommenen Zwangsabtreibungen und Tötungen von weiblichen Babys.
Parallel zur UN-Konferenz findet ein Gesprächsforum regierungsunabhängiger Frauengruppen statt.
1996
Milena Jesenská wäre am 10. August 100 Jahre alt geworden.
Die Prager Journalistin und Widerstandskämpferin schreibt über "Lynchjustiz in Europa", über vertriebene Juden und deutsche Sozialdemokraten, erinnert an das Schicksal der politischen Emigranten in der Sowjetunion und plädiert für Schutz und Achtung für Deutsche in den Grenzgebieten, die "Deutsche, aber keine Nazis" sind. Als ihr ein Leser anerkennend bescheinigt, dass sie vor allem eine Tschechin sei, antwortet sie in ihrem letzten Artikel.
"Selbstverständlich bin ich Tschechin, aber vor allem versuche ich, ein anständiger Mensch zu sein."
Nach der deutschen Besetzung im März 1939 organisiert sie Fluchtwege für Juden, Kommunisten und deutsche Antifaschisten. Sie hilft ohne zu zögern und ohne Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit. Im November 1939 wird sie verhaftet, nach einem Jahr Gestapo-Haft kommt sie ins KZ Ravensbrück, wo sie am 17. Mai 1944 stirbt.
Weltweit wird Milena Jesenská nur als Freundin Kafkas gesehen. Im eigenen Land bleibt sie jahrzehntelang tabu, tot geschwiegen als Renegatin, da sie Stalins Verbrechen öffentlich angeprangert hatte. Die einzige öffentliche Anerkennung ist die Würdigung des Staates Israel, der ihr posthum den Ehrentitel "Gerechte unter den Völkern" verliehen hat.
1996
UK: Prinzessin Diana und Prinz Charles werden am 28. August geschieden
Diana, Prinzessin von Wales (diesen Titel darf sie behalten) steht weiterhin im Licht der Öffentlichkeit, weil sie sich stark karitativ engagiert, u. a. für Opfer von Landminen.
Ein Jahr später verunglückt sie mit ihrem Auto in einem Pariser Tunnel. Am 31. August 1997 um vier Uhr früh stirbt sie im Krankenhaus an den Folgen des Unfalls. Schon zu ihren Lebzeiten eine der meistfotografierten Frauen, wird ihr tragischer Tod zum Anlass einer weltweiten Welle der Bestürzung. Die Beerdigung mit einem mehrstündigen Trauerzug durch London am 6. September wird per Satellit in so viele Länder wie noch nie zuvor live übertragen, Tausende von Menschen säumen den Weg, um persönlich von ihrer "Königin der Herzen" Abschied zu nehmen.
1997
Mutter Teresa stirbt
Mutter Teresa, eigentlich Gonxha Bojaxhio, verläßt mit 18 Jahren ihre Heimat Skopie und schließt sich in Dublin den Schwestern von Loreto an, die sie später nach Indien schicken. 1950 gründet Teresa die "Missionarinnen der Nächstenliebe", deren oberstes Gebot Armut und Dienst an den Ärmsten ist. Die Nonnen arbeiten in den Slums von Kalkutta, widmen sich der Sterbepflege, der Versorgung von Leprakranken und verwaister Kinder. Der Orden breitet sich schnell aus und unterhält Niederlassungen in der ganzen Welt.
1971 wird Mutter Teresa vom Pabst mit dem Friedenspreis ausgezeichnet, ein Jahr später erhält sie den Neruh-Preis für Internationale Verständigung, 1973 den Templeton-Preis für Fortschritt in der Religion, und 1979 überreicht man ihr den Friedensnobelpreis.
Nach ihrem Tod werden auch kritische Stimmen laut, die den " Missionarinnen der Nächstenliebe" vorwerfen, die ca. 100 Millionen Dollar jährlich, die der Orden durch Spenden zusammenträgt, nicht für wohltätige Zwecke auszugeben, sondern auf den Konten der Vatikanbank verschwinden zu lassen. (Foto: Mutter Teresa und Prinzessin Diana).
1997
Hedy Lamarr erhält den EFF Pioneer Award
Hedy Lamarr erhält die erste offizielle Anerkennung: die Electronic Frontier Foundation (EFF), eine einflussreiche Cyberlobby, verleiht ihr und ihrem schon verstorbenen Miterfinder, George Antheil, Mitte März den EFF Pioneer Award, einen Preis für technische Großtaten.
Hedy Lamarr, in Wien geboren und in Hollywood ein Filmstar, die als die schönste Frau der Welt gilt, entwickelt im zweiten Weltkrieg eine neue Funktechnik für die amerikanische Armee.
David Hughes, der beide für diesen Preis vorgeschlagen hatte:
"Antheil und Lamarr entwickelten die technischen Grundlagen dafür, dass einmal Millionen von Mobilfunkgeräten auf engem Raum gleichzeitig operieren können."
Hedy Lamarr, die 1957 ihren letzten Film gedreht hat, kommentiert diese späte (und nur moralische) Abfindung mit den Worten: "Es wurde auch Zeit"
1998
Ruth Dreifuss wird als erste Frau zum Staatsoberhaupt der Schweiz gewählt
Sie gilt als Feministin, ist seit 1993 als einer der sieben schweizerischen Bundesräte (Minister) tätig und steht dem Innen-Department vor.
Vor der Wahl zur Bundespräsidentin reformierte die Sozialdemokratin den Mutterschutz, die Sozial- und Krankenversicherung. Dreifuss sieht ihre Wahl als Ausdruck für einen Wandel in der Schweiz. Als Gewerkschafterin, Sozialdemokratin und Mitglied der jüdischen Gemeinde stehe sie im Gegensatz zu dem konservativen Bild, dass das Ausland von den Eidgenossen habe.
1999
Biljana Srbljanovic erhält den Ernst-Toller Preis
Biljana Srbljanovic wird durch ihre in der serbischen Hauptstadt, in der sie 1970 geboren wurde, spielenden Theaterstücke bekannt und erhält für ihr während der NATO-Luftangriffe auf Jugoslawien im Frühjahr 1999 geschriebenes viel beachtetes Kriegstagebuch Ende 1999 den Ernst-Toller Preis 1999. In ihrer Rede anlässlich der Preisverleihung formuliert sie ihre Scham über Europa, in dem das Militär eines Landes die Zivilbevölkerung ausrottet, das stolz ist auf seine Kultur und Zivilisation, und es hinnimmt, dass Menschen an seinen Rändern hungern und sich gegenseitig umbringen und nur eine Antwort darauf haben: wiederum Gewalt anzuwenden. Mit ihrem Denken und Schreiben will sie Stimme sein "gegen alles, was uns beherrscht". Und sie kommt zu dem Schluss, dass es sie nicht gibt, ihr ihre Identität abhanden gekommen ist, weil sie bestimmt wird durch etwas, "was ich nicht bin, durch etwas, was mein Gegenteil ist, durch etwas, wogegen ich bin."
2000
Weltfrauenmarsch gegen Gewalt und Armut
Der Weltfrauenmarsch gegen Gewalt und Armut endet am 17. Oktober mit einer Großkundgebung in New York vor dem UNO-Gebäude.
Viereinhalb Millionen Unterschriften werden der UNO übergeben mit der Aufforderung, sich gegen Gewalt und Armut einzusetzen.
In der Zeit vom 8. März - dem internationalen Frauentag - bis zum 17. Oktober - dem internationalen Tag zur Bekämpfung von Gewalt und Armut - beteiligen sich auf allen Kontinenten mehr als 5000 Frauenorganisationen an Kundgebungen.
Allein in Brüssel demonstrieren am 14. Oktober 30'000 Europäerinnen.
Der Weltfrauenmarsch ist die größte internationale Manifestation zu Beginn des neuen Jahrtausends.
2000
Das „Harry Potter“-Fieber erreicht Deutschland
Die „Harry-Potter“-Romane von Joanne K. Rowling erschienen zwar schon Ende der Neunziger, aber im Jahr 2000 wollte jeder Teenager in Deutschland die ersten Bände über die Abenteuer des jungen Zauberer und seine Freunde lesen.
2000
Frauen können auch in Deutschland den Beruf der Soldatin ergreifen.
Die Elektronikerin Tanja Kreil aus Hannover hatte sich 1996 für einen Posten zur Instandsetzung von Waffenelektronik beworben und war mit der Begründung abgewiesen worden, dass Frauen keinen Dienst mit der Waffe leisten dürften. Am 11.01.2000 hebt der Europäische Gerichtshof in Luxemburg diese Entscheidung auf und verfügt, dass auch den Frauen der Dienst mit der Waffe in der Bundeswehr offen stehen muss. Folglich verstoße die bisherige Regelung, wonach die Bundeswehr Frauen nur zum Sanitäts- und Militärmusikdienst zulässt gegen das Recht der Europäischen Union.
Foto: Brunhilde Hüring hatte am 01.09.1979 dieses Foto während einer Demonstration der demokratischen Fraueninitiative in Dortmund aufgenommen.