Chaumos

Ein Winterfest im Hindukusch

Der zweite Kalash-Film schildert ihr Winterfest, das die Kulte der Ahnen und der Erneuerung miteinander verbindet.

Wir leben zwei Wintermonate bei diesem einzigartigen Volk, das seine Tradition und Weisheit nur mündlich überliefert. Um an den 14 Tage dauernden Winterzeremonien teilnehmen zu dürfen, müssen die Männer des Teams durch Blut-Zeremonien Mitglieder der Kalash-Gesellschaft werden.

Die Kalash-Gesellschaft beruht auf dem Prinzip des Gleichgewichts, der Balance. Für jede Schwäche, jeden Verlust gibt es einen Ausgleich. Nicht erst nach dem Tode, wie wir es glauben, sondern schon sehr konkret zu Lebzeiten.
So schreiben Tradition und Sitte den Reichen vor, ihre Besitztümer freigebig an alle zu verteilen. Nur mit verschwenderischen Festen, zu denen alle Kalash eingeladen sind und die zum Wohlergehen der Gemeinschaft beitragen, können sie ein Stück Unsterblichkeit erringen und als Ahnen über den Tod hinaus teilhaben am Leben der Kalash. Ein Tausch: Freigebigkeit gegen Unsterblichkeit.


Kommentare des Films - in einzelne Schwerpunkte unterteilt

In den Tälern der Kalash, im Hindukusch Nord-Pakistans.
Ende November erreichen wir dies Grenzgebiet zu Afghanistan.
Hier leben die 4.500 Kalash, die letzten überlebenden der Kafiren, der 'Ungläubigen'. Jedes Jahr feiern sie zur Wintersonnenwende ein 2-wöchiges Fest - das Chaumos.
In ihm verbinden sich Kulte der Fruchtbarkeit, Riten der Regeneration und Ahnenkulte.
Saifullah Jan, der gewählte Sprecher der Kalash, hat uns eingeladen mitzufeiern.

Am ersten Tag des Winterfestes werden die alten Körbe verbrannt.
Mit den brennenden Kiepen verzehrt sich das vergangene Jahr und mit ihm alles Böse, alle schlechten Einflüsse, die die Zukunft belasten könnten.
So müssen neue geflochten werden.
Mit dem Verbrennen der Vorratskörbe an der Wende zum neuen Jahr beweisen die Kalash den Göttern, dass sie Vertrauen in sie setzen, dass sie an deren Fähigkeit glauben, auch in Zukunft für sie zu sorgen.
Angst vor dem Winter könnten die Götter als Beleidigung auffassen.

Das Chaumos-Fest ist Balumain, dem Gott der Fruchtbarkeit, gewidmet. Er besucht zu dieser Zeit die Kalash-Täler auf einem majestätischen Pferd, dessen Hufe Glut versprühen. Balumain wurde einst in einem Wettstreit von Mahandeo, dem Gott der Bewässerung, besiegt. Eine Niederlage.
Trotzdem kehrt er jedes Jahr einmal für ein paar Tage zurück, um seine Autorität über den Zyklus des Jahres zu behaupten.

Von dem legendären Wettstreit der Götter erzählt uns Kasi Kosnawas, der Traditionshüter der Kalash:    

Einst traten die Götter Mahandeo und Balumain zu einem Wettstreit um das Bumboreit-Tal an. Die Fee Ingau sollte Schiedsrichterin sein. Sie führte die beiden zum Durik-Pass, der die Kalash-Täler und Kafiristan verbindet. Dort beschlossen sie: 'Über Nacht baut jeder von uns einen Bewässerungskanal, einer soll sich zum Kalashtal Bumboreit öffnen, der andere nach Kafiristan. Bumboreit soll dem gehören, in dessen Kanal bei Sonnenaufgang das Wasser flutet.'    
Mahandeo übernahm die Bumboreit-Seite, Balumain die andere.
Am nächsten Morgen war Mahandeos Kanal fertig, und das Wasser floss hinein. So  hatte er also gewonnen.    
Doch Balumain forderte Revanche. Sie kamen zum Shawala-Pass  und sprachen: 'Wir werden hier schlafen. Der, dessen Augen beim Erwachen Kafiristan erblicken, kann das Bumboreit-Tal nicht besitzen. Er muß weggehen.'
Mitten in der Nacht wandte die Fee Ingau eine List an. Sie drehte Balumains Gesicht gen Kafiristan und Mahandeos nach Bumboreit. Am nächsten Morgen wachte Balumain auf und sah Kafiristan. Mahandeos Gesicht war Bumboreit zugewandt. Da erboste er,  warf einige  Steine ins Bumboreit-Tal, verfluchte es  - und ging.
Balumain ließ sich im kafirischen Siam nieder. Dort lebt er auch heute noch, das ganze Jahr über. Nur zum Chaumos-Winterfest erscheint er.
Er beobachtet am Sajigor-Heiligtum, wie die Kalash-Männer die Ruten auf den Altar werfen - für jeden Kalash eine  - und er schreibt alles nieder.

Das ganze sonstige Jahr über beten wir Sajigor an, und diese Gebete werden von ihm gesammelt und zur Chaumos-Zeit Balumain übergeben, alle Gebete des
Kalash-Volkes. Er überbringt sie unserem höchsten Gott, Khodai, dem Schöpfer der Welt.
Das  ist sie, die Geschichte.

 

Am 7. Dezember beginnt in diesem Jahr das Chaumos-Fest. Am Nachmittag des Sarasani - des ersten Tages, treffen sich die Jungen und Mädchen auf dem gegenüberliegenden Berg, etwa eine Stunde vom Dorf entfernt, um auf ihre Weise Balumain zu begrüßen.
Für sie ist es selbstverständlich, dass gerade dem Verlierer im Wettstreit der Götter, Balumain, ein triumphaler Empfang bereitet wird.
Während des Chaumos geben die Kalash ihrem Gott Balumain all die Liebe und Verehrung, die sie - auf das ganze Jahr verteilt - ihren andern Göttern zukommen lassen.

Die Kalashgesellschaft gründet sich auf das Prinzip des Gleichgewichts, der Balance. Für jede Schwäche, jeden Verlust gibt es einen Ausgleich. Nicht erst nach dem Tode - wie wir Christen es glauben - sondern sehr konkret schon zu Lebzeiten. So schreibt die Sitte den Reichen vor, ihren Besitz freigebig zu verteilen. Denn nur mit verschwenderischen Festen, zu denen alle eingeladen sind und die zum Wohlergehen der Gemeinschaft beitragen, können sie ein Stück Unsterblichkeit erringen und  als Ahnen über den Tod hinaus teilhaben am Leben der Kalash.
Ein Tausch: Großzügigkeit gegen Unsterblichkeit. Viele Familienfeste, vor allem aber das gemeinschaftliche Winterfest, sind geeignet, Großzügigkeit zu beweisen.   

Spielerisch ahmen die Jungen und Mädchen den Wettstreit der Götter Balumain und Mahandeo nach. Getrennt - jede Gruppe für sich - haben sie ein Feuer entfacht. Wer die höchste Rauchsäule gen Himmel schickt, ist Sieger. Dieses Jahr sind es die Jungen, die gewinnen.
In solch einer Gesellschaft können die Mädchen ihre Niederlage getrost hinnehmen. Die Entschädigung ist ihnen sicher.

Die Jugendlichen sind ins Dorf zurückgekehrt und ziehen mit den Frauen von Haus zu Haus. Mit einer Walnuss klopfen sie an jede Tür, dabei werden die Namen aller Familienmitglieder aufgezählt, für deren Wohlergehen die Frauen Djestak um Segen bitten.
Die Göttin Djestak verkörpert die Lebenskraft der Kalash. Sie ist  die  Hüterin  der Familie und der Kinder - zuständig für Geburt und Heirat - und sie beschützt das Haus.
Deswegen hat sie auch in jeder Wohnung ihren Platz.

Die Männer haben sich oberhalb des Dorfes versammelt und stimmen das heilige Balumain-Lied an, das nur während dieses Festes gesungen werden darf:
"Oh, Balumain, Herr des Chaumos, steig herab. Bring uns Gesundheit und Wohlbefinden, befreie uns von unseren Sorgen. Mach uns stark durch die Hufe Deines Pferdes. Lass die Walnüsse wachsen und den Weizen. Vermehre die Zahl unserer Kinder und Ziegen. Oh, großer Gott Balumain, erhöre unser Gebet!"
Die Männer bewegen sich in einer Prozession hinab zu den Frauen.

 

Unten werden sie empfangen vom ersten großen Fest-Feuer, und das Gebetslied wird abgelöst von Wechselgesängen voller sexueller Anspielungen. Je  schmutziger die  Worte,  umso  lieber erhört Balumain die Gebete. Nur zur Zeit des Chaumos nennen Frauen und Männer sexuelle Dinge beim Namen. Dann legen sie ihre Reserviertheit ab und lösen eine Wort-Gewalt aus, die mit einem Schlag die bestehende Ordnung umkehrt.
Der Streit der heiligen Gesänge mit den obszönen Worten beginnt. Er geht einher mit einer sexuellen Abstinenz von 7 Tagen. Die sexuelle Lust soll angeregt werden, denn nach diesen sieben Tagen – im Zeichen der Gunst des Gottes Balumain – soll keine Kalashfrau unfruchtbar bleiben. So tragen das Heilige und das Obszöne dazu bei, den Fortbestand des Volkes zu sichern.

Die Frauen sind zum Gebirgsbach herabgestiegen, um sich und ihre Kleider im eiskalten Wasser zu waschen. Diese drei Tage der Reinigung sind fester Bestandteil des Winterfestes.

Die Frauen gelten im archaischen Weltbild der Kalash als unrein, können die Geheimnisse des Heiligen nicht erfahren. Sie sind daher ausgeschlossen mit der Verbindung zum Göttlichen. Nur die Göttin der Familie Djestak verehren sie gemeinsam mit den Männern.
Die Frauen nehmen es als unumstößliches Gesetz hin – auch dass es ihnen nicht erlaubt ist, an den Opferungen teilzunehmen und das Fleisch der heiligen Opferziegen zu essen.
Doch an den Festen, die alle religiösen Ursprungs sind, huldigen die Frauen den Göttern mit ihren Gesängen und Tänzen.

Für die folgenden Zeremonien müssen viele Fladenbrote gebacken werden. Es ist die Aufgabe der Frauen, das Mehl dafür zu mahlen. Tag und Nacht drehen sich die Mühlsteine. Trotzdem verzögert sich das Fest um zwei Tage. Erst dann wird das ganze Mehl für die heiligen Brote gemahlen sein. Ruhig und gelassen wird die Änderung des Festmahles hingenommen.

Der Gott Balumain hatte seinerzeit angeordnet, ihm zu Ehren die heiligen Steinböcke in Brot nach zu backen. Backt eine Familie viele Tiere in dieser Nacht, so wird auch ihr Jagdglück groß sein. Die Figuren stehen 20 Tage lang in Reih und Glied. Danach dienen sie denKindern als Spielzeug.

Am nächsten Festtag – es ist schon der achte – werden Früchte und Brote zum Djestak-Tempel getragen. An ihnen werden sich die Verstorbenen laben, denn dies ist der Gedenktag an die Ahnen. Ein Ältester war zum Friedhof gegangen, um die Ahnen zum Gastmahl einzuladen.
Vor dem Djestak-Tempel wird aus Kienspänen ein Turm errichtet. In ihm sollen die Seelen der Widersacher gebannt werden. Die letzten Hölzchen verkörpern die Erzfeinde der Kalash unter Verwünschungen werden sie in den Turm geworfen. In diesem Jahr ist es Saifullah Jan, der dieses Ritual ausführt. Als größte Feinde der Kalash sieht er die muslemischen Mullahs, die versuchen, sie zu islamisieren, aber auch jene Pakistani, die die Wälder der Kalash einfach abholzen. Ihnen allen wünscht er den Tod.

Vor dem Tempel wartet ein Korb mit Speisen für die Ahnen.
Alle Lebenden schließen sich im Djestak Tempel ein. Jetzt – so sagen die Kalash – holen sich die Ahnen ihren Anteil. Alle konzentrieren sich und versuchen das Murmeln über die köstlichen Speisen zu erlauschen.

Nur die Göttin Djestak wird in einem Tempel verehrt, einem großen quadratischen Haus. Alle anderen Götter haben ihre Temepel unter freiem Himmel. Jedes Dorf besitzt wenigstens einen Djestak Tempel. Einfache Symbole und geometrische Zeichen schmücken den Djestak Tempel. Sie dürfen nicht verändert werden, denn sie wurden einst von den Göttern selbst übergeben.
Am 10. Tag des Festes entfacht jede Familie im Djestak Tempel ein Feuer. Ein gereinigter, purifizierter Knabe oder junger Mann backt die geheiligten Brote, die nötig sind für die bevorstehende Purifikation der Frauen, die Segnung ihrer Fruchtbarkeit. Sie soll durch die Walnüsse in den Broten vergrößert werden.
Die Gedanken sollen gereinigt werden durch den Duft des Wachholderzweiges. In ihm halten sich die guten Feen auf, die die böswilligen Dämonen versöhnlich stimmen. Jede Frau erhält eine bestimmte Anzahl von Broten, je nachdem ob sie verheiratet oder ledig ist, Kinder hat oder noch nicht geschlechtsreif ist.

Eine Stunde bergaufwärts liegt das Heiligtum des Gottes Sajigor. Da Balumain nur einmal im Jahr die Kalash besucht, haben sie ihm keine eigene Kultstätte errichtet. Deswegen leiht Sajigor ihm, für diese zwei Opfertrage, seinen mit Sonnen-Zeichen geschmückten Altar.
Die Ziegen sind die bevorzugten Opfertiere weil sie die Ernährung der Kalash sicherstellen. Sie liefern Mich, Butter, Käse, Fleisch. Aus ihrer Haut macht man Schuhe und andere Kleidungsstücke. Ihre Wolle verwebt man zu warmen Winterstoffen.  

Männer und Jungen haben sich vor Sonnenaufgang gereinigt, den Körper von Kopf bis Fuß mit Gebirgswasser gewaschen. Von nun an sind die Moslems für sie tabu – mit ihnen dürfen sie nicht mehr zusammen kommen, nicht mehr mit ihnen sprechen. Auch wir mussten uns der Reinigungszeremonie unterziehen. So vorbereitet ist es uns erlaubt, am Ofer für Balumain teilzunehmen.

Die Männer, die die Opferungen vollziehen, mussten sich besonders strengen Reinigungszeremonien unterwerfen. Mit angewinkelten Armen konzentriert sich Amin Khan darauf, sich nicht mehr zu bewegen oder berührt zu werden. Nur ein gereinigter Knabe darf dem Priester assistieren. Mit dem Blut welches auf den Altar und ins Feuer geworfen wird, soll Balumain gnädig gestimmt werden, damit er die Kalash auch weiterhin beschützt, ihre Zukunft sichert.

Die Kalash leben in ständiger Furcht, die Natur - Spenderin der Nahrung und des Lebensraumes - könnte ihre Kräfte verlieren, aus dem Gleichgewicht geraten.
Für alle Bereiche des Lebens haben sie sich deswegen Götter erkoren. Mannigfaltige Opfer sollen sie dazu bewegen, die natürliche Ordnung aufrecht zu erhalten.  Ein Vertrag: Je größer die Gabe im heiligen Tausch desto wohlwollender werden sie Götter sie vergüten. Das feierlichste und verschwenderischste Opfer ist Balumain, dem Gott der Fruchtbarkeit gewidmet. Ihm wird dargeboten um was man bittet: Lebenskraft. Im blutigen Tod, dem letzten Aufbäumen, wird das Opfer eins mit der göttlichen Ewigkeit. Die rituelle Tötung der Ziegenböcke ruft die Schöpfung an, sich zu erneuern. Der Opfernde ahmt die Gottheit nach, die Tod und Leben gibt.
Jede Familie opfert ihre liebsten, ihre schönsten, ihre wertvollsten Ziegenböcke. Balumain wird schon dafür sorgen, das noch größere, noch kräftigere nachwachsen. Balumain verachtet den Geiz und belohnt die Großzügigkeit. Heute muss das Blut in Strömen fließen! 33 Ziegen werden im Angesicht der feierlichen Zusammenkunft der Männer geopfert. Zugleich wird der Höhepunkt des Festes zur Demonstration innerer Stärke und Überlebenskraft.

Die Opfertiere werden in die Viehställe geschleppt, das Fleisch von den Männern gekocht und gemeinsam gegessen. Das Verspeisen besiegelt – wie das christliche Abendmahlt – die Verbindung vonMensch und Gott. Die Hörner der Tiere sollen später das Haus, den Viehstall oder den Djestak Tempel schmücken.

Im Übergang vom alten zum neuen Jahr öffnen sich die Kalash der Zukunft. Die vierjährigen Jungen und Mädchen werden als Anwärter auf das Erwachsensein in die Gesellschaft eingeführt. Sie werden mit den traditionellen Gewändern bekleidet. Die Jungen mit der weiten Wollhose, die von Bändern gehalten wird. - Sie wurde früher von allen Männern getragen, heute nur noch von den Hirten, die in die Berge ziehen. - Die Mädchen werden in die schwarzen, buntbestickten Kleider gehüllt.

Der Ritus, der jetzt folgt erfordert absolute Reinheit der Männer. Sie waschen Hände und Gesicht mit klarem Gebirgswasser, das nicht durch das Dorf geflossen ist. Mit dem ersten Blut des Opfertieres wird der Viehstall gesegnet. Die Herde möge wachsen. Die zweite Hand voll Blut wird Feuer geworfen für die Götter. Und schließlich wird jedem in der Runde eine Hand voll Blut ins Gesicht gespritzt. Die Blutstropfen wischt man sich nicht ab. Sie sind das deutliche Zeichen zur Zugehörigkeit zur Kalash-Gemeinschaft. Auch wir tragen nach der Purifikation dieses Blutszeichen im Gesicht. Denn nur als Mitglieder der Kalash-Gemeinschaft dürfen wir weiter im Tal der Kalash bleiben, zusammen mit ihnen in ihren Häusern leben, das Fest des Chaumos weiter mit feiern.

Am nächsten Tag sieht Balumain eine Gemeinschaft erneuerter Männer auf sich zu kommen, vermehrt durch die neuen Mitglieder, die Vierjährigen. Die kleinen Männer sind heute zusätzlich geschmückt mit einem weißen Turban und einer roten Perlenschärpe, die an einen Munitionsgürtel erinnern soll.  Sie nehmen zum ersten Mal an einer Opferung teil.
Bevor Balumain die Kalash verlässt möchte er sie zählen, damit er auch wirklich niemanden vergisst beim Segen. Deshalb hält einer aus jeder Familie so viele Weidenzweige hoch wie es Männer in ihr gibt. Die Neulinge halten ihren Zweig selbst in der Hand. Auf ein Zeichen werfen alle die Zweige auf den Altar – so als ob die Gemeinschaft sich selbst dem Gott darböte.
Zum ersten Mal halten die Kleinen das heilige Fladenbrot in den Händen. Der erste Biss ist für die Götter; der Rest für die Menschen.

Die angesehenen Weisen  - die Gaderaks – beten gemeinsam mit den Männern:
„Oh Balumain, der Du zu uns herabgestiegen bist, vervielfache unsere Haushalte. Lass uns so viele werden wie es Sterne gibt am Himmel. Mach unsere Kalash-Täler stark und gesund. Gib uns deinen Segen - Herr des Chaumos - großer Balumain.“
Die lange Rückkehr der Männer zum Dorf vollzieht sich feierlich. Der Kasi im goldenen Brokatmantel geht an der Spitze. Keiner macht ihm diesen Platz streitig, denn seine Weisheit und Großzügigkeit haben ihm diese Autorität verliehen.

Die Frauen warten schon auf sie.
Die Männer versammeln sich oben im Dorf, die Frauen unten. Die Welt der Frauen und die Welt der Männer. Sie versuchen, sich gegenseitig im Erfinden aggressiver, obszöner Worte zu übertreffen. Dabei simulieren die Männer einen Ritt, imitieren  den Reiter Balumain. Weil der Gott peitschend zur Erde kommt fuchteln sie mit ihren Äxten, dem Attribut der Hirten.
Die Männer: „Oh Tochter der Großmutter, steck alle in deinen Arsch, die nicht bei Sajigor waren.“
Die Frauen: „Der Fuchs sah deinen Pimmel, sagte ‚Mist’ und ging.“
Die obszönen Gesänge haben ihren Höhepunkt erreicht.

Dann kippt die Stimmung plötzlich um.
Die Männer bewegen sich in feierlicher Prozession hinab zu den Frauen. Sie stimmen das heilige Balumain-Lied an:
„Oh Balumain – Herr des Chaumos – du bist herab gestiegen. Bring uns Gesundheit und Wohlbefinden, befreie uns von unseren Sorgen, mach uns stark durch die Hufe deines Pferdes. Lass die Walnüsse wachsen und den Weizen, vermehre die Zahl unserer Kinder und Ziegen – oh großer Gott Balumain  erhöre unsere Bitte.“
Die Männer umzingeln die Frauen, umkreisen sie drei Mal, immer wieder das Balumain-Lied singend.
Balumain wird heute Nacht die Kalash-Täler verlassen, in sein Land Siam zurückkehren.
Man muss die Nacht in Flammen setzen, die sein Weggehen begleiten und gleichzeitig die Sonne beschwören, sich mit dem Winter zu versöhnen.
Riesige Fackeln, bis zu drei Meter hoch erleuchten Balumains Weg. Weidenruten halten die langen Schäfte aus gespaltenem Nadelholz zusammen., Khodai – der höchste aller Götter – schenkte den Kalash diese Holz im Augenblick der Schöpfung den Worten:
„Ich gebe euch zwei Augen. Aber ihr werdet ein drittes brauchen. Ich gebe euch dieses Holz des Lichtes.“
Dies ist der Höhepunkt des Chaumos. Die Menschen verneinen die längste Nacht des Jahres. Tanzen, Singen, Beten. Tanzen bis das Morgengrauen den Tag ankündigt.

Eigentlich muss heute Nacht der Schamane die Zukunft des Kalashvolkes weissagen. Doch heute - wie auch schon im vorigen Jahr - verweigert er dies.
In Trance läuft er durch die Menge, auf der Suche nach 'Unreinen', die er schlägt. Für was sucht er Schuldige?
Für die zunehmende Macht der Moslems?
Balumain hat das Tal der Kalash verlassen.

Die wolkenverhangenen Berge kündigen noch viel Schnee an. Wollen wir nicht mit einschneien, müssen wir so schnell wie möglich Abschied nehmen. Bis zum Frühjahr, drei Monate lang, bleiben die Täler unpassierbar, sind völlig abgeschnitten von der Außenwelt.   

Für die Kalash bricht jetzt die Zeit der Muße an. Im langen Winter werden neue Körbe geflochten, Decken gewebt, Kleider bestickt - und immer wieder Geschichten erzählt; Geschichten, die  von  Generation zu  Generation mündlich weitergegeben werden, denn die Kalash kennen keine Schrift.
Vor allem hört man Kasi Kosnawas, dem Traditionshüter zu. In alten Geschichten und Legenden lässt er die sagenhafte Kultur der Kalash wiederauferstehen.
Und man liebt besonders die Märchen, die davon erzählen, wie Mensch und Natur eins waren und sich die Menschen noch mit den Tieren und Pflanzen unterhalten konnten.    
 


Die letzen Minuten des Film mit der Geschichte hier.