Aus meinem Tagebuch 1985 - 1987
Erste Begegnug mit der islamischen Welt in Peshawar, Pakisten
Nach mehr als zehn Jahren mit der Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus suche ich nach einem neuen Thema – schließlich habe ich Kunst studiert und möchte mich wieder mehr mit Kultur beschäftigen. Oftmals waren mein Mann und ich die ersten Deutschen, die nach Polen oder Weißrussland kamen, um an den Lebensgeschichten der Faschismus-Opfern Anteil zu nehmen. Es ist sehr schwer, sich all die Verbrechen anzuhören – zumal wenn man aus dem Land der Täter kommt. Ja, mit unseren Filmen tragen wir zur Aufklärung über diese Zeit bei – aber konkret helfen können wir den traumatisierten Interwieparter*innen nicht.
Vor allem will ich Krieg und Kriegsverbrechen hinter mir lassen. In eben diesem Augenblick lerne ich den Afghanen Nurullah Ebrahimy kennen, der mich mit Wrechmina zusammenbringt. Wrechmina fliegt nach Pakistan zurück, um an der Hochzeit ihres Schwagers Abdul Haq teilzunehmen.
Und so mache ich mich auf den Weg mit dieser Bekannten, um die afghanische Kultur kennenzulernen. Wie es das Schicksal wollte, sitze ich zwar nicht mehr Opfern des deutschen Faschismus gegenüber, sondern in den afghanischen Flüchtlingslagern in Pakistan den Opfern des Kriegsgeschehens in Afghanistan.
Was soll ich machen? Ich entschließe mich, es als mein Schicksal anzunehmen.
So kommt es, dass ich den ersten Film in Pakistan und im sowjetisch besetzten Afghanistan drehe.
Im Dezember 1985 fliegen Wrechmina und ich mit der pakistanischen Fluglinie PIA los nach Karatschi und weiter nach Peshawar. Sie freut sich über mein Interesse an ihrer Kultur und verspricht mir, mich überall hinzubringen, mir alles zu zeigen, mich einzuführen in die afghanischen Kultur mir ihren Problemen - und sie wird dolmetschen.
Schon im Flugzeug bemerke ich, wie ihre Verhaltensweise mir fremd wird. Sie bittet mich, ihr einen Platz zu verschaffen, bei dem kein Mann die Möglichkeit hat, neben ihr zu sitzen. Beide lachten wir über ihren Wunsch, und ich überrede die Stewardess, ihre Bitte zu erfüllen. Bei der Zwischenlandung in Karatschi lässt sie mich mein umfangreiches Gepäck alleine schleppen – immerhin neben meinem Koffer die 16mm Kamera, Stativ, die Nagra - das Tonbandgerät - einschließlich Film- und Tonmaterial. Sie selbst verschwindet im Frauenbereich der Flughafen-Moschee.
Als wir in Peshawar ankommen liefert sie mich bei der Familie von Esmatara ab - und ist verschwunden.
Wrechmina ist wieder eingetaucht in ihre Familie, ihre alte Tradition, unter den Schleier - wurde wieder zur hilflosen, schwachen afghanischen Frau. Wrechminas Kraft reichte nicht aus, dieser alten Tradition zu widerstehen, diesen machtvollen Schutzraum zu durchbrechen.
Esmatara, 'mein schwarzer Schatten' - wie ich sie für mich selbst nenne. 30 Jahre alt, unverheiratet. Esmatara soll mich ständig begleiten, damit ich 'nicht traurig werde'. So ist sie jeden Tag und jede Nacht bei mir.
Während meines Aufenthaltes in Peshawar lebe ich bei mehreren afghanischen Familien, immer muss Esmatara dann auch dort schlafen. Ganz selten - und nur mit sehr schlechtem Gewissen - geht sie mal nach Hause. 'Einen Gast lässt man nicht allein', so will es die afghanische Sitte.
Für mich ist es sehr schwierig, mich nie - auch am Abend nicht - zurückziehen zu können an einen ruhigen Ort, ohne Frauen und Kinder.
Esmatara trägt immer den schwarzen Ganzkörper Schleier, die Chaderi, nicht wie z.B. Fatima - die traditionelle afghanische Bokhra. "Der iranische Schleier ist bequemer", erklärte sie mir. "Bei ihm habe ich die Augen frei und kann die Hände besser gebrauchen, außerdem läßt er sich besser pflegen, denn das Plizzieren der Bokhra ist schwierig und teuer." So wie sie kleiden sich in Peshawar fast alle Afghaninnen - nie verläßt eine von ihnen nur mit einem Tuch verschleiert das Haus, wie ich es bei den pakistanischen Frauen oft beobachte.
Auf mich wirkt ihre schwarze Voll-Verschleierung furchterregend. Sie erinnerte mich an Bilder von iranischen Frauen, die mit geballten Fäusten durch Teherans Straßen ziehen und die Ungleichheit von Frau und Mann propagieren.
Esmatara hat bis vor 6 Monaten in Afghanistan für die Mujahideen hinter der Front gearbeitet: Gefährliche Spion- und Kurierdienste übernommen, Waffen transportiert, den Verwundeten Erste Hilfe geleistet. Sie hat Schreckliches erlebt - aber sie strahlt keine Trauer aus. Der Tod ist hier nichts Furchterregendes, ja er ist beinah eine Gnade Gottes, denn alle Männer, die im Djihad - dem 'Heiligen Krieg' - sterben, gehen als Märtyrer direkt ein in das Paradies. (Und die Frauen? Darauf weiß Esmatara keine Antwort.)
Alles, was passiert, ist Allah's Wille. Die Gottergebenheit der Afghanen/ innen ist nicht nachzuvollziehen.
Aber Esmatara fragt sich auch: 'Warum hat Allah uns diesen Krieg ge schickt?' Ihre Folgerung: 'Nun müssen wir erst recht beweisen, daß wir rechtgläubige Moslems, Moslematen sind'.
Quirrliges Treiben auf den Basaren. Überall Männer auf den Stra ßen. Sie tragen Lasten, schleppen Kästen, treiben ihre Tiere - Kühe, Wasserbüffel, Kamele - durch die engen Gassen. Autos hupen sich den Weg frei, Rikschas quetschen sich durchs Menschen-Tier-Auto-Gewühl. Männer kaufen und verkaufen, schneidern, nähen, schustern, schmieden - sie fotografieren mit abenteuerlich alten Holzkameras - immer sind sie beschäftigt, fast nie sieht man eine Gruppe müßig herumstehen oder im Cafehaus lange Gespräche führen.
Peshawar ist die größte Stadt im Paschtu-Gebiet Pakistans. Die andere Hälfte von Paschtunistan gehört zu Afghanistan. 1893 wurde das Gebiet von den englischen Kolonialherren willkürlich geteilt. Hier sprechen die Pakistaner die gleiche Sprache wie die Flüchtlinge: Paschtu. Die Straßen sind eng, die Häuser alt, erstaunlich, daß sie überhaupt noch zusammenhalten.
Auf den Straßen spürst du eine totale Frauenverachtung. Die Männer starren dich an, als ob es eine Frechheit wäre, als Frau die Straße zu benutzen. Dabei ist Esmatara völlig umhüllt von ihrem schwarzen Schleier, nur die Augen hat sie frei. Und ich? Versteckt unter meinem neuen islamischen Tuch, weißer Batist mit einfachen blauen Stickereien und kleinen runden Spiegelehen. Hier kannst du am Straßenleben nicht teilnehmen, du kannst - tief verschleiert - in eine Rikscha huschen und versuchen, durch einen kleinen Spalt etwas von der Straße zu erspähen. Wenn du - wie wir gestern, um das Tuch zu kaufen - durch die Straßen gehen mußt, wirst du angestarrt - eben von der Straße vergrault. So haben die Männer es geschafft, das öffentliche Leben, die Straße, die Luft, das Licht für sich zu haben. Warum sie es nicht teilen wollen mit ihren Frauen, ist mir vollkommen unverständlich."
Es gibt keine Cafe's oder Kneipen in der Stadt, lediglich ein paar Restaurant's, angeschlossen an die wenigen Hotels. Ich wohne 2 Tage über Weihnachten in dem einzigen internationalen Hotel, 'europäischen Stils'. In dem großen Saal mit breiten, hohen Fenstern zur Straße hin - dort sitzen und speisen die Männer - die Frauen hinter einem schwach transparenten Vorhang, der den großen, hellen Männerteil von dem kleinen, dunklen Frauenteil trennt.
Hier im Frauenteil sitze ich ganz allein - welche Frauen besuchen in Peshawer schon ein Restaurant?
Hier wollte ich ein Bier trinken.
Auf meine Frage, ob es möglich ist, antwortet der Kellner, er werde nachfragen. Nach einer wirklich langen Weile kommt er zurück mit der 'freudigen Mitteilung', er hätte die Erlaubnis für mich erwirkt. Schließlich seien wir hier in einem islamischen Land - aber ich als Ausländerin, na ja ...
Das Bier kommt. Bevor der Kellner die Flasche öffnet, schlägt er ein riesiges, dickes Buch auf und ich muß auf drei Seiten dreimal unterschreiben: vielleicht zünde ich ja das Haus an? Oder werfe alle Fensterscheiben ein? Oder? - Besser ist es, sich ab zusichern."
Ein zweites Bier habe ich in Peshawar nicht getrunken.
Mauern, Mauern, unübersteigbare, dicke, mannshohe Mauern, die jedes Haus und Grundstück vor den von Blicken außen abschirmen. Totale Isolierung!
Auch innerhalb des Hauses herrscht diese Trennung der Frauen und Kinder von den Männern. So leben die Männer z.B. im Erdgeschoß, mit Telefon, Fernseher, Radiogerät und die Frauen in der 1. Etage mit ihren vielen Kindern. Dort verrichten sie all ihre hausfraulichen Tätigkeiten. Möbel gibt es keine, nur ein paar bunt bezogene Matratzen. Die Schlafdecken werden tags über ordentlich aufgerollt und meist in einem Wandschrank verstaut.
Tische, Stühle, Regale braucht man nicht - alle Gegenstände für den täglichen Gebrauch wie Bügeleisen, Nähmaschine, Teekanne und Tassen holt man aus dem Wandschrank oder einer großen Metallkiste.
Geschlafen wird auf dem Boden, ebenso gegessen, gebügelt, Gemüse geputzt, gewaschen usw. Gekocht wird in der Küche mit Gas auf einem Herd, dort steht meist auch ein Kühlschrank. Zum Kochen braucht man nur wenige Metalltöpfe, da die Gerichte ausgesprochen einfach sind. Meist gibt es gekochten Reis, mit ein wenig gekochtem Gemüse, für die Männer manchmal auch Fleisch, alles angerichtet auf einer Metallplatte, von der sich jeder mit den Fingern nimmt, dazu Fladenbrot und hinterher Tee. Wer wohlhabend ist, gibt Milch und Zucker hinein und reicht weiße, mehlige Süßigkeiten dazu. Der Gast bekommt auch schon mal ein Glas gesüßte Milch.
Die Frauen lassen alles sofort stehen und liegen, wenn sie von ihrem Vater, Ehemann oder Bruder gerufen werden - denn deren Wunsch, meist im Befehlston vorgetragen, muß sogleich erfüllt werden. Sie bügeln, waschen, kochen für die Männer - erst wenn sie das Essen den Männern aufgetragen haben, essen sie selbst - oft nur das, was die Männer ihnen übriglassen.
Als ich das erste Mal 1985 in Pakistan den Führer der fundamentalistischen Partei Hizb-e-Islami, Gulboddin Hekmatyar, treffe, ist er ein einfacher Anführer. Er spricht nicht besser Englisch als ich und beim ersten Interview, welches ich mit ihm mache, sitzen er und ich in einem fast leeren Raum. Nur ein Teppich bedeckt den Fußboden auf dem wir beide Platz genommen haben.
Ich wohne dann jedes Jahr zwischen 1985 und 1988 in seinem Haus zusammen mit seiner Familie und seiner zweiten Frau. In diesem Haus gibt es weder Telefon noch sonstige Kommunikationsgeräte.
Jahr für Jahr wechselt Hekmatyar in ein größeres Haus und seine Bodyguards werden immer wuchtiger.
Die mediale Aufmerksamkeit aus den USA und Europa nimmt rapide zu. Der Westen sieht in ihm und seiner Partei den Garanten dafür, den Stellvertreter-Krieg, den die USA mit der damaligen Sowjetunion führt, gewinnen zu können. Die USA, einige arabische Staaten – allen voran Saudi Arabien - und Westeuropa versehen den Fundamentalisten Hekmatyar mit immer mehr und modernen Waffen, flankiert mit Kommunikationsmitteln auf höchstem Niveau.
1988 – als ich ihn das letzte Mal in Pakistan treffe – wird nicht nur die Straße, in dem sich sein Privat-Anwesen befindet, von pakistanischen Sicherheitskräften bewacht und abgesperrt, sondern auch die Straße, in der sein Büro und die Parteizentrale angesiedelt sind.
Einmal muss ich ihn in seinem Büro besuchen. Da er nicht anwesend ist, warte ich. Als er dann mit seiner üblichen Sicherheit-Karawane kommt und alle Begleiter schon aus den Autos ausgestiegen sind, wird er aufgefordert, nun doch endlich auch auszusteigen. Er sieht mich mit einem strengen Blick an und sagt: „She has to cover her head!“ Erst da bemerke ich, dass mein Tuch etwas vom Kopf gerutscht ist – ich ziehe es also wieder in Form – und Herr Hekmatyar kann sein Auto verlassen!
Die Afghaninnen, die mich in Pakistan betreuen und die mir die Problematik ihres Volkes nahe gebracht haben, gehören alle zur Partei Hizb-e-Islami. Hekmatyar hat uns einen VW-Bus einschließlich Fahrer zur Verfügung gestellt, der mich mit meinen Filmgeräten in die Flüchtlingscamps fährt. Eines Tages bleibt der VW-Bus liegen und ich bitte Hekmatyar, uns einen stabileren Wagen zu geben. Am nächsten Tag haben wir einen robusten Jeep und sein persönlicher Fahrer hat den Auftrag, uns überall dorthin zu fahren, wo wir Filmaufnahmen machen möchten.
Leider haben wir 1987 auf einer Fahrt ins Stammesgebiet* Miram Schah einen schweren Unfall. Unser Fahrer übersieht ein Motorrad, auf dem zwei Männer sitzen und kollidiert mit ihnen.
Unser Auto überschlägt sich und wir alle – Esmatara, ich, der Fahrer, ein afghanischer Mitarbeiter und mein Mann Hartmut Kaminski, der mich auf dieser Reise erstmalig begleitet - fliegen in den Morast neben der Straße. Das ist unser Glück: Wir landen weich im Matsch – und bis auf Prellungen und einige Schnittwunden sind wir unverletzt.
Der Motorradfahrer aber ist tot – und unsere beiden afghanischen Begleiter rennen wir besessen weg von der Unfallstelle.
Esmatara klärt uns auf: Das Stammesrecht sieht vor, dass ein Toter nur durch einen Toten gesühnt werden kann.
Das heißt: Um nicht hier auf der Stelle umgebracht zu werden, haben "unsere" Afghanen das Weite gesucht.
Esmatara rät Hartmut, sich ebenfalls so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen. Er jedoch lehnt das ab – wohl in dem Glauben, dass so etwas nicht sein könne!
Es dauert nicht lange und der nur leicht verletzte Beifahrer des Motorrades kommt mit einer Abordnung des nahe gelegenen Dorfes zur Unfallstelle. Sie nehmen Hartmut fest und fordern Esmatara und mich auf, ihnen zu folgen.
In einem dunklen Raum, in dem nur eine Feuerstelle schwaches Licht spendet, sitzt ein dicker - eigentlich fetter - Mann und droht uns die schlimmsten Strafen an. "Wer hätte uns überhaupt erlaubt, in ihr Gebiet zu fahren?!"
Esmatara gelingt es, den feisten Fettling davon zu überzeugen, dass Hartmut und ich kein Urdu sprechen und wir beide Gäste des Stammesführer Gulboddin Hekmatyar seien. "So, So!" knurrt unser Gastgeber und ordnet an, dass Hartmut von uns getrennt wird.
Was wird mit ihm geschehen?
Wir warten – Esmatara und ich sind mittlerweile allein in diesem finstern Raum.
Später erfahren wir, dass eine Abordnung nach Peshawar zu Hekmatyar geschickt wurde, die überprüfen soll ob das alles auch so stimme.
Die Nacht bricht an – und wir warten.
Am Morgen kehrt die Abordnung aus Peshawar zurück mit der guten Nachricht, dass Hekmatyar eine hohe Summe für den Toten bezahlt habe und wir somit unser gewohntes Leben fortsetzen können. Auch Hartmut ist nichts passiert.
Nie gab es ein anderes Gerichtsverfahren.
* Das Stammesgebiet ist die Region diesseits und jenseits der internationalen Grenze, die Pakistan von Afghanistan trennt. Auf beiden Seiten leben Pashtunen und der pakistanische Staat greift in die jeweilige Rechtsprechung der einzelnen Stämme in diesem Gebiet nicht ein.
Lehm, Lehm und Steine - kein Gras, kein Strauch, kein Baum - nicht eine Blume. Wasser ist dort natürlich knapp und muss vom Brunnen geholt werden. Oft gibt es für 14.000 Menschen nur einige wenige Brunnen! Immer sieht man die Menschen - Männer wie Frauen - Wasser schleppen; die Frauen tragen es in Behältern auf dem Kopf, die Männer wie chinesische Wasserträger über den Schultern.
Die Wohnbereiche entsprechen der 'normalen' Bauweise in der Stadt.
Der Bereich einer Familie ist umgeben von einer hohen Lehmmauer und geteilt in den Frauen- und Männerbereich. Diese Hütten und Mauern haben die Frauen und ihre Kinder vorwiegend allein gebaut nur mit ihren Händen - aus Lehm oder manchmal auch aus Reisig. Fast alle jungen Männer ziehen pro Jahr einige Monate in den Djihad, den 'Heiligen Krieg'. Ihre Familien - meist alte Männer, Frauen und Kinder - sind dann auch sich selbst gestellt.
Je nach Größe der Familie sind innerhalb der Mauer verschieden viele Zelte oder Lehmhütten aufgestellt. Ein Zelt für die Männer, für jede Ehefrau eine Lehmhütte oder Zelt, in dem sie mit ihren Kindern lebt. Dazu kommt noch eine kleinere Hütte, die als Küche dient. Bei manchen Familien gibt es auch eine ‚Klo-Hütte’. Normalerweise verrichtet man allerdings seine Notdurft draußen vor der Mauer.
Die Hütten oder Zelte sind ausgelegt mit dünnen, billigen Decken - wer von den Camp-Bewohnern kann sich schon einen Teppich leisten?
Im Sommer bei nahezu 50 Grad ist es unerträglich heiß und stickig in den Zelten und Hütten. Im Januar ist Winterzeit. Wenn es regnet wird es empfindlich klamm und feucht in den Behausungen.
Nur mit einem Jeep kann man durch die Camps fahren, kein anderes Auto würde diese Lehmwüste bewältigen. Oft gibt es keine Straßen und man muss querfeldein fahren, durch ausgetrocknete Flussbetten, über hüglige Lehmweiten. Nicht selten stehen die Mauern so dicht nebeneinander, dass man nur noch zu Fuß weitergehen kann - dann immer umringt von lärmenden Kindern und staunenden Männern.
In einigen Camps gibt es kleine Geschäfte - Bretterbüdchen, an denen man Apfelsinen und Bananen kaufen kann. Andere Camps haben noch nicht einmal solche 'Läden'. Dann müssen die Männer nach Peshawer zum Einkauf fahren in überfüllten Bussen, an denen die Menschen wie Trauben draußen hängen.
Die Ernährung ist äußerst einfach und eintönig. Das Fladenbrot - nicht mehr als Mehl und Wasser - backen die Frauen selbst, etwas Reis, manchmal gekochtes Gemüse, sehr selten ein Stückchen Fleisch - und das dann nur für die Gäste oder die Männer - und natürlich Tee.
Viele Camp-Bewohner leiden an Unter- oder einseitiger Ernährung, obwohl die afghanischen Flüchtlinge vom Ausland sehr gut unterstützt werden, besonders von Saudi Arabien und Kuwait und auch von den westlichen Staaten. Die Verteilung der Nahrungsmittel - jeder Campfamilie steht Mehl, Öl und Zucker zu - geht oft chaotisch zu, so dass auch hier das alte Prinzip der Stärke gilt: Wer zuerst am kräftigsten zuschlagen kann, bekommt am ehesten etwas.
Karge, hüglige Lehmlandschaft. In der Ferne schimmern riesige Bergmassive bläulich im Morgendunst - dahinter Afghanistan.
Abmarsch einer für den Krieg ausgerüsteten Kompanie:
Jeder Soldat erhält eine neue 'Uniform': eine lange Hose, ein islamisches Hemd, beides aus dünnem, billigem Stoff - nicht vergleichbar mit unseren unverwüstlichen Militär-Drillichanzügen - dazu ein Paar neue Schuhe, eigentlich Sandalen, eine Decke und ein Gewehr mit Munition.
Zum Abschluss: Das gemeinsame Gebet.
Die so ausgestattete Kolonne junger Männer besteigt die Jeeps und fährt in Richtung Bergmassiv - wird kleiner und kleiner bis sie schließlich verschluckt wird vom Morgendunst.
Ich sehe - durch das Teleobjektiv - in diese jungen ernsten Gesichter der Kämpfer und ich ahne ihren nahen Tod.
In das Ausbildungslager der Mujaheddin komme ich nur, weil ich im Jeep des Parteiführers, Hekmatyar, sitze und sein Fahrer mich fährt. Ich spüre, dies kommt dem 'Sesam öffne Dich' gleich: schwerbewaffnete Patrouillen weichen auf ein Handzeichen, Straßensperren sind keine Hindernisse, Schlagbäume öffnen sich.
Die jungen Kämpfer im Lager staunen verwundert, als ich die Filmkamera auspacke und die Gräber afghanischer Märtyrer, geschmückt mit wehenden grünen, islamischen Fahnen, aufnehme.
Hier, in diesem Ausbildungslager, werden die Kämpfer zu Mujaheddin, zu Glaubenskämpfern. Sie werden geschult, nicht nur im Umgang mit der Waffe, sondern vor allem moralisch im islamisch-fundamentalistischen Glauben.
Nach den Kämpfen in Afghanistan ist es für diese Männer notwendig, wieder aufgebaut zu werden: Gute Ernährung (während der Kämpfe in den Bergen trinken sie nur Tee und essen trockenes Fladenbrot), genügend Schlaf, Ausbildung an den neuen, modernen Waffen.
Aber das Wichtigste ist für die Fundamentalisten hier, die Kraft ihres Glaubens zu stärken, denn sie kämpfen nicht nur für die Freiheit ihres Vaterlandes, sondern für einen islamischen Staat unter der Führung von Gulboddin Hekmatyar. (Die meisten von ihnen können weder lesen noch schreiben: 80% dieser Männer sind Analphabeten.
Wollen sie nicht nur einfach leben? Ihr Land bestellen? Ihre Kinder aufwachsen sehen?
Wem nützt dieser Krieg? Wer hat das Recht, das Leben dieser jungen Männer aufs Spiel zu setzen?
Opfer sind sie - Opfer der Ideologien, der kommunistischen und der islamischen.
Die seit jeher für schwach und schutzbedürftig erklärten Frauen zeigen im Laufe der Kriegsjahre immer häufiger ganz andere Eigenschaften: Sie übernehmen gefährliche Spion- und Kurierdienste, kundschaften die Lage und Stärke des Feindes aus, holen Informationen ein über die Anzahl der Panzer, Soldaten, Flugzeuge, die beim nächsten Gefecht eingesetzt werden sollen usw ...
Sie sorgen für Nahrung, Kleidung und Erste Hilfe für die Verwundeten. Sie schmuggeln Waffen unter ihrem Ganzkörperschleier durch gefährliche Gebiete, legen Minen und nicht selten müssen sie sich selbst mit der Waffe verteidigen.
Da die Männer in diesem Krieg gegen einen so überlegenen Feind auf jede Unterstützung, also auch auf die Hilfe der Frauen, angewiesen sind, müssen sie deren Tapferkeit zur Kenntnis nehmen und anerkennen. Und nicht nur das: Der Mut der Frauen beflügelt die Mudjahideen - die Glaubenskämpfer - geradezu, ihr Äußerstes im Kampf gegen den Feind zu geben. Die Leistungen der Frauen tragen so dazu bei, dass die Mujahideen den Kampf mit ungebrochenem Willen fortführen "bis der letzte Russe das Land verlassen hat".
Momentan sind die Frauen mehr als nur eine moralische Stütze für ihre Männer, Brüder, Söhne im Djihad, dem "heiligenKrieg". Momentan scheinen sie Partnerinnen zu sein.
Aber werden sie es auch bleiben, wenn dieser Krieg ein Ende gefunden hat?
Oder werden sie dann - ähnlich wie die deutschen Frauen in Westdeutschland nach dem Ende 2. Weltkriegs - ihre Verantwortlichkeiten und Pflichten wieder abgeben an die Männer?
Frauenemanzipation in Afghanistan bedeutet für den Mann nicht nur die Abnahme seiner Herrschaftsbefugnisse, sondern gleichzeitig die Teilung und Abgabe von Verantwortung. Ein solcher Schritt würde gleichzeitig das ganze auf Autorität begründete Gesellschaftssystem in Frage stellen und wäre ein Angriff auf den afghanischen Männlichkeitskult.
Frauen in solchen Gesellschaften sind wenig darin geübt, Schritte aus der Konvention heraus zu wagen, sich eigenverantwortlich moralisch zu steuern und sich selbst eigene Entscheidungen zuzutrauen.
Frauenemanzipation ist gerade von Veränderungen derjenigen Institution abhängig, die sich einem Wandel gegenüber als besonders resistent erweist, der Familie.
Afghanistan ist ein islamisches Land und der Islam ist ein Lebensstil, der alle Lebensbereiche durchdringt. Der Islam ist eine Gesetzesreligion, die alle menschlichen Verhältnisse rechtlich regelt, vom internationalen über das Straf- bis zum Zivil- und Familienrecht. Da dieser Code sich ganz besonders intensiv mit der genauen Ordnung der Geschlechterbeziehung befasst, tangieren Änderungen im Status der Frauen in jedem Falle religiöse Werte, das heißt das Wertesystem dieses Lebensstils schlechthin. Sie stellen damit das sakrosankte, durch Jahrhunderte alte Tradition legitimierte Gesellschaftssystem überhaupt in Frage.