Afghanistan 2001-2002

Die Frauen von Kabul - Sterne am verbrannten Himmel

1990 verlassen die Sowjets Afghanistan und die westliche Welt hört auf, sich um Afghanistan zu kümmern. Es folgen 5 Jahre Bürgerkrieg und 5 Jahre Talibanzeit. Für mich war es nicht mehr möglich, in irgendeiner Weise eine Produktion mit  dem Thema  Afghanistan finanziert zu bekommen, schon gar nicht mit dem Focus Frauen.

Dann kam der 11. September 2001, und plötzlich stand Afghanistan wieder im Mittelpunkt der öffentlichen Berichterstattung. Diese Situation habe ich sofort genutzt und bin im Januar 2002 nach Kabul geflogen. Das war für sich schon ein Abenteuer: Eine spanische Militärmaschine landete in Ramstein Air Base zwischen, um Hilfsgüter zu laden. An Bord waren der Kapitän, sein Copilot, ein kleines spanische Fernsehteam – und ich kam hinzu - völlig allein mit meiner Kameraausrüstung. Natürlich hatte ich keinen Kameramann gefunden, der dieses Abenteuer wagen wollte.
Ich bin also nach Kabul geflogen und wusste überhaupt nicht, was auf mich zukommt. Ich dachte mir, irgendwie werde ich das schon bewältigen. Ich wollte einen neuen Film auf die Beine stellen mit den Frauen, die 13 Jahre zuvor mit mir Tschadari und Buz Kaschi gedreht hatten.
Es war wirklich ein sehr verwegenes Unterfangen - im Nachhinein wundere ich mich schon, dass ich es einfach so gemacht habe - in eine komplett zerstörte Stadt, wo gar nichts funktioniert, einfach einzureisen und davon auszugehen, in einer Millionenstadt vier, fünf Frauen zu finden.

Kabul empfängt mich mit Sonnenschein. Aber kaum bin ich ausgestiegen, werde ich gewarnt: Keine Film­ oder Fotoaufnahmen! Noch bevor ich eine Frage stellen kann, sehe ich die Antwort: zwei englische Kampfhubschrauber dröhnen dicht über mir, schwer bewaffnete Soldaten zielen mit Maschinengewehren auf mich - "wie die Bilder sich gleichen", denke ich und erinnere mich an meine Ankunft in Kabul 1988, als sowjetische Kampfhubschrauber den gleichen Flughafen bewachten.

Wie soll ich hier - in der vom Krieg verwüsteten Stadt - Menschen wiederfinden? Frauen, die vor 14 Jahren jung waren - wenn sie überhaupt noch leben - wo soll ich anfangen, sie zu suchen? Wenn Parwin noch lebt - dann müsste ich in der Universität nach ihr fragen. Schließlich hat sie 1988 als Heimleiterin des Mädcheninternats der Kabuler Universität gearbeitet.

Als ich im notdürftig hergerichteten Büro der Universität nach Parwin forsche, spricht mich eine ältere Frau an und sagt, sie hätte Parwin gestern noch getroffen. Soll das tatsächlich wahr sein? Ich bitte sie, mich zu Parwins Wohnung zu bringen. Sie erinnert sich nicht, wo genau Parwin wohnt, will aber versuchen, sie wiederzufinden und fährt mit mir zum Stadtviertel Makroyan. Hier beginnen wir nach ihr zu fragen.

In einem Hauseingang steht eine Frau - als ob sie auf uns gewartet hätte. Meine Begleiterin sagt: "Da ist sie, Parwin" - sie ist schöner geworden in diesen 14 Jahren, denke ich - und sie trägt eine Tschadarmuos, dieses große Tuch, das den ganzen Körper bedeckt, das Gesicht jedoch frei lässt. Ich erinnere mich sehr genau: früher glänzte ihr blauschwarzes Haar, zum Knoten zusammen gebunden, in der Sonne - durch kein Tuch verdeckt. Ich sehe sie vor mir, wie sie ein großes Wandbild am Internatsgebäude erklärt, höre ihre Stimme, die Lenin zitiert: "Ohne die Frauen kann keine Bewegung erfolgreich sein."  So fand ich Parwin  nach 14  Jahren wieder.

Sie wurde die Hauptprotagonistin meines neuen Dokumentarfilms Die Frauen von Kabul - Sterne am verbrannten Himmel. Während der Dreharbeiten sagte sie zu mir: ,,Uns geht es ja noch gut, wir haben ein Dach über dem Kopf, wir sind gebildet; aber wir müssen irgendwas tun für diese Frauen," - sie meinte vor allem die Kriegerwitwen - ,,die gar nichts haben".

Nun komme ich ja aus dem Westen, und jeder weiß selbst, wie wir hier leben. Ich hörte mir das an und die Dokumentarfilmerin in mir dachte „eigentlich ist es nicht genug, nur über die Zustände zu informieren – ich muss auch konkret etwas zur Veränderung, zur Verbesserung der Lebendbedingungen beitragen." So habe ich diese Äußerung auch als Chance begriffen und dachte: ,,Ja, tatsächlich, man muss etwas tun". Zusammen mit Parwin, Hafiza und verschiedenen anderen Frauen in Afghanistan überlegen wir, was man machen könnte. Alle waren sie sich sofort einig: Das Wichtigste ist Bildung - einfache Berufsausbildungen - mit denen die Frauen eigenes Geld verdienen und ihr Selbstbewusstsein aufbauen können. So entstand das NAZO-Ausbildungszentrum in Afghanistan, in dem seit 2003 Frauen und Mädchen die verschiedensten Handwerksberufe erlernen.

2005 waren Parwin und die afghanische Journalisten Zakia vom Terrendes Femmen nach Tübingen eingelden, um im Rahmen des Filmfestes an dem Afghanistansymposium, das die Festvalleiterin Irene Jung, organisiert hatte, teilzunehmen. Auch die erste Frauenministerin Afghanistans -  Sima Simar - war eingeladen, ebendo ich und Nurullah Ebrahimy als Dolmetschen. Hier können Sie das Gespräch als PDF-Datei nachlesen.