Das 20. Jahrhundert
Das vergangene 20. Jahrhundert wird aus dem Blickwinkel der Frau reflektiert.
Der tiefgreifende gesellschaftliche Wandel zu Beginn des gerade vergangenen Jahrhunderts wurde nicht nur in der Kunst sichtbar, sondern auch im Verhältnis der Geschlechter zueinander: Nun meldeten sich auch die Frauen zu Wort, formulierten neue Erwartungen an die Zukunft und konnten im Laufe der Zeit unerhört vieles erreichen - den Zugang zu Bildungseinrichtungen, politische Mitsprache, Ausübung qualifizierter Berufe, finanzielle Selbständigkeit usw.
Für jedes Jahr kann mindestens ein frauengeschichtliches Ereignis aufgerufen werden.
siebtes Jahrzehnt (1961 - 1970) mit 22 herausragenden Errungenschaften von Frauen
1961
In der BRD gibt es die erste Gesundheitsministerin
Die CDU-Politikerin Elisabeth Schwarzhaupt wird Gesundheitsministerin. Ursprünglich soll der Familienminister Franz-Josef Wuermeling der progressiven CDU-Frau Platz machen. Doch die ledige Protestantin Elisabeth Schwarzhaupt hat gegen den konservativen Katholiken Franz-Josef Wuermeling keine Chance. Deswegen richtet Adenauer das Ministerium für Gesundheit ein und überträgt die Leitung der 60jährigen Juristin. Später werden beide zum 'klassischen Frauenressort' zusammengeführt und in Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit umbenannt.
1961
Binnen weniger Stunden steht die Berliner Mauer
Aus Stacheldraht, Zäunen, Barrikaden und Beton wird das klassische Monument der Teilung Deutschlands errichtet.
Mit dem Bau der Mauer wollen die Machthaber der DDR verhindern, dass weiterhin die bei ihnen ausgebildeten Arbeitskräfte in den kapitalistischen Westen überwechseln. Da vor allem junge, qualifizierte Frauen und Männer in den Westen flüchten, fürchtet die DDR eine Destabilisierung ihrer Wirtschaft.
Die Bevölkerung der DDR beginnt nach 1961, sich mit der Situation abzufinden, und tatsächlich festigt sich die DDR in den folgenden Jahren wirtschaftlich und politisch.
1962
Die Antibabypille kommt in der BRD auf den Markt
Zwei Jahre nach seiner Erprobung in den USA kommt ein empfängnisverhütendes Hormonpräparat auf den Markt, das sich grundlegend von den herkömmlichen Verhütungsmitteln wie Kondomen oder Pessaren unterscheidet. Es ist auf den weiblichen Organismus abgestimmt und greift in den komplizierten Zyklus der Menstruation ein. Die Antibabypille findet bei den Frauen der westeuropäischen Industrienationen ebenso Anklang wie in den USA. Erst im Laufe der 70er Jahre artikulieren viele Frauen ihren Unmut über die chemische Fremdbestimmung ihrer Körper. Als moderne und sichere Alternative zu den konventionellen Verhütungsmitteln hat die Pille eine revolutionäre Wirkung auf die Selbstbestimmung der Frauen.
1963
'Der Weiblichkeitswahn'
Die US-amerikanische Journalistin und FeministinBetty Friedan enthüllt den Mechanismus, der Frauen auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter beschränkt und ihr Selbstbewusstsein beschneidet. "Der Weiblichkeitswahn", so Betty Friedan, "hat es geschafft, Millionen Frauen lebendig zu begraben." Diese Feststellungen sind auf Umfragen aus den 50er Jahren gestützt. Die befragten Frauen äußern Unzufriedenheit mit sich selbst und halten sich weder für gute Mütter noch Ehefrauen. Teilweise - so Friedan - sind Frauen für ihre Misere selbst verantwortlich. Nach dem zweiten Weltkrieg haben Frauen ihre Selbstentfaltung gegen Sicherheit eingetauscht. Voraussetzung für die Entwicklung von Selbstbewusstsein seien Bildung und Erwerbstätigkeit, die durch reformierte Bildungssysteme und flexible Arbeitszeiten ermöglicht werden müssten. Die Auseinandersetzung mit den Inhalten des Buches führt in den USA zu einer neuen Frauenbewegung, die Ende der 60er Jahre auch auf Europa übergreift.
1963
Zum ersten Mal startet eine Frau ins Weltall
- die Russin Walentina Tereschkowa.
Das Raumschiff "Wostok VI" trägt die 26-jährige Kosmonautin in den Weltraum.
1964
Der 'Minirock' kommt in Mode
Erst als die Zeitschrift "Vogue" dem Minirock der Modeschöpferin Mary Quant einige Seiten widmet, setzt der Siegeszug dieses Kleidungsstückes ein. Die Engländerin Mary Quant hatte den Minirock schon Ende der 50er Jahre entworfen. Es dauerte jedoch fast ein Jahrzehnt, bis er sich gegen Beschuldigungen wie "Bekleidung für Huren" durchsetzte. Genauso spektakulär wie ihre Modekreationen ist ihr unternehmerischer Erfolg: 1966 wird die Modedesignerin als Dank für ihren Beitrag zur britischen Außenhandelsbilanz der Orden des Britischen Empire verliehen. Mary Quant nimmt ihn im Minirock entgegen.
Zum Minirock das passende Mannequin: Twiggy
Über Nacht wird die androgyne Frau zum Star. Mit Twiggy wird die in den 50er Jahren betonte Polarität der Geschlechter verwischt. Jetzt erscheint Dünnsein als einzig erstrebenswertes Ziel.
1964
Ariane Mnouchkine
eröffnet ein Theater, in dem Amateure und Profis gleichberechtigt zusammenarbeiten.
Als Gründerin des "Théâtre du Soleil" revolutioniert die französische Schauspielerin und Regisseurin das europäische Theater mit ihrem Konzept, das herkömmliche Formen der Bühnenarbeit hinter sich läßt.
1965
Charta über die Rechte der berufstätigen Frau
Die Probleme der berufstätigen Frau stehen auf der Tagesordnung des Weltkongresses des IBFG, des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften, der in Amsterdam stattfindet. Eine "Charta über die Rechte der berufstätigen Frau" soll die Rolle der arbeitenden Frau, sowie ihre gewerkschaftliche Arbeit anerkennen.
1965
Deutscher Film über Abtreibung
Ein deutscher Film thematisiert konkret die Abtreibungsproblematik: Der Film "ES" von Ulrich Schamoni zeigt die Probleme eines jungen Paares, die durch eine ungewollte Schwangerschaft entstehen.
Der Entschluss der Hauptdarstellerin Sabine Sinjen, die unerwartete Schwangerschaft abzubrechen, führt nicht zur Entspannung, sondern stürzt das Paar in eine Krise.
1966
Indien wählt eine Ministerpräsidentin
Indira Gandhi, die Tochter und Mitarbeiterin des ersten Ministerpräsidenten Indiens, Jawaharlal Nehru, regiert Indien mit starker Hand. Die 48jährige distanziert sich sofort von allen Gerüchten über einen möglichen politischen Kurs im Sinne der Frauenemanzipation. Es sei purer Zufall, daß sie als Frau geboren sein. Indira Gandhi tritt ihr Amt in schweren Zeiten an: Indien steht vor einer Hungersnot. Schon bald straft sie alle Kritiker Lügen, die vorher gesagt haben, sie werde Wachs in den Händen der Parteihierarchie sein. Durch ihre rigorose Innenpolitik verschärft sie den Religionskonflikt zwischen Hindus und Sikhs, die einen eigenen Staat gründen wollen. Zwei ihrer Sikh-Leibwächter ermorden sie 1984.
1966
Die Großplastik 'Hon'
von Niki de Saint Phalle erregt Empörung.
Im Modernen Museum in Stockholm wird die Plastik der französischen Künstlerin gezeigt. "Hon" bedeutet in der Übersetzung "Sie" und ist eine überlebensgroße, buntbemalte Frauenfigur, die mit gespreizten Beinen auf dem Rücken liegt. Durch die Vagina kann man in sie eintreten. In ihrem Innern enthält die Skulptur ein Kino, eine Bar, ein Museum mit gefälschter Kunst, eine Kinderrutsche und einen 'Liebesgarten'. Die einen verurteilen dieses Werk als "monströse Schweinerei", die andern feiern es als selbstbewusste und ironische Kritik am gängigen Weiblichkeitsklischee.
1967
Die 'Freie Liebe'
wird in Deutschland populär.
Die Gründung der "Kommune I" in Berlin gilt als Auftakt für die Entstehung von Wohngemeinschaften. Von den Medien heftig ausgeschlachtet und auf den kollektiven Beischlaf reduziert, ist in den Kommunen der 60er Jahre das Experiment der Promiskuität mehr Programm als Praxis. Uschi Obermeier entwickelt sich zu Deutschlands Vorzeige-Kommunardin.
1968
In der BRD wird mit Gewalt protestiert
Die RAF legt Brandsätze in zwei Frankfurter Kaufhäuser. Hierzu in der Zeitschrift "Konkret"vom Mai 1968 Ulrike Meinhof, der intellektuelle Kopf der Roten Armee Fraktion:
"War das alles ... sinnlose, terroristische, unpolitische ohnmächtige Gewalt? Stellen wir fest: Diejenigen, die von politischen Machtpositionen aus Steinwürfe und Brandstiftung verurteilen, nicht aber die Hetzte des Hauses Springer, nicht die Bomben auf Vietnam, nicht Terror in Persien, nicht Folter in Südafrika, ... sie messen mit zweierlei Maß ... ihnen fehlt beides: Die politische und moralische Legitimation, gegen den Widerspruchswillen der Studenten Einspruch zu erheben ... Es ist dokumentiert worden, dass es in diesem Land noch Leute gibt, die Terror und Gewalt nicht nur verurteilen, sondern ... bereit und fähig sind, Widerstand zu leisten, so dass begriffen werden kann, dass es so nicht weitergeht."
1968
Eine Ohrfeige für den Bundeskanzler
Beate Klarsfeldohrfeigt auf dem CDU-Parteitag den Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger. Die aufsehenerregende Ohrfeige wird in den Medien als Tat einer "unbefriedigten jungen Frau" bezeichnet.
Beate Klarsfeld selbst gibt eine politische Begründung: "Als ich hörte, daß einer der ehemals führenden Nazis, der für die Auslandspropaganda im Radio verantwortlich war, Kanzler werden sollte, habe ich mich dagegen aufgelehnt - aus moralischen Gründen."
1968
Deutsche Filmemacherinnen
machen von sich reden.
Mit provozierenden Arbeiten von Helke Sanders, Ula Stöckl und Erika Runge beginnt die erste Phase der international beachteten deutschen Filme von Regisseurinnen. Sie kämpfen mit ihren Filmen gegen eine einseitige patriarchale Kultur. Eine der ersten Regisseurinnen, die Aufsehen erregt, ist Ula Stöckl mit ihrem Film "Neun Leben hat die Katze". Ula Stöckl beschäftigt sich immer wieder mit den Problemen der Frauen, die versuchen, sich aus ihrer traditionellen Rolle zu lösen. Obwohl ihre Filme nationale und internationale Preise gewinnen, bleibt der Erfolg an der Kinokasse aus. Im gleichen Jahr macht die Dokumentaristin Erika Runge sowohl als Autorin als auch als Regisseurin auf sich aufmerksam. Ihre "Bottroper Protokolle", im Montageverfahren neu zusammengesetzte authentische Gespräche mit Frauen, verwendet sie als Grundlage für ihren mehrfach ausgezeichneten Film "Warum ist Frau B. glücklich".
1968
'Nachdenken über Christa T.'
erscheint erste Roman von Christa Wolf in Ost-Berlin.
Die Autorin löst sich von dem bisher gültigen patriarchalen Wertesystem und versucht, weibliche Erfahrungen zu vermitteln. Sie gehört neben Irmtraut Morgner, Helga Schubert, Elfriede Brüning, Monika Helmecke u.a. zu den wichtigsten Schriftstellerinnen der DDR.
Ähnlich wie Christa Wolf beschäftigt sich auch Irmtraut Morgner mit der Angst vor der Zerstörung der Zivilisation durch das patriarchale Machtdenken.
1968
Im Vietnamkrieg
wird ein ganzes Dorf, in dem vor allem Frauen und Kinder leben, vernichtet.
Über ein Jahr gelingt es dem US-Verteidigungsministerium, das Massaker in Mylai zu verschweigen. Erst im November 1969 geht die Meldung um die Welt und löst eine Welle von Protesten aus. Allein in Washington demonstrieren am 15. November 1969 rund 250.000 Menschen für einen sofortigen Frieden in Vietnam.
1969
Israels erste Regierungschefin
Golda Meir wird Ministerpräsidentin Israels. Die 70jährige Politikerin gehört zu den Frauen und Männern der ersten Stunde, die 1948 Israel gründeten. Außer Golda Meir gab es nur noch eine Frau, Rahel Kagan, unter den 39 Gründungsmitgliedern. Auch wenn Meir bei ihrer politischen Arbeit als Frau keine Nachteile zu ertragen hat, wie sie hin und wieder betont, thematisiert sie doch die Notwendigkeit der Gleichberechtigung:
"Natürlich sollen Frauen den Männern in jeder Hinsicht gleichgestellt sein. Das gilt auch für das jüdische Volk; Frauen sollen nicht besser als Männer sein müssen, um als menschliche Wesen betrachtet zu werden. Sie sollten nicht das Gefühl haben, sie müssten Wunder vollbringen, um angenommen zu werden."
1969
Oriana Fallaci thematisiert den Vietnamkrieg
Die italienische Journalistin und SchriftstellerinOriana Fallaci veröffentlicht ihr Buch "Niente e cosí sia" ("Wir, Engel und Bestien"). Ihr mutiger Report, in dem neben gefangenen Vietkongs, Süd- und Nordvietnamesen, G.I.s und ihren Offizieren, Beamten und Ärzten, auch der berüchtigte Polizeichef von Saigon zu Wort kommt, ist Verurteilung und Hoffnung für die Menschen, die weder Engel, noch Bestien, sondern Engel und Bestien sind.