Cumpleanos

Julio und Maria feiern ihre Geburtstage im Santeria Glauben

Maria und Julia feiern ihren 'Cumpleanos', eine Art Geburtstag.
Julia ist ein angesehener Santero und ein sehr guter Trommler. Er ist 55 Jahre alt, war Hafenarbeiter und widmet sich heute nur dem Santero-Kult. Seine Ehefrau, Maria, ist ebenfalls Santera.
Gefeiert wird der Tag, an dem der Orisha, dessen Kind man ist, von der Person zum ersten Mal Besitz ergriff und in ihren Körper hinein schlüpfte.
Julio ist Kind Changos, Maria Kind Yemayas.
Julio wurde das erste Mal von Chango am 1. Februar besessen, Maria am 2. Februar von Yemaya.

Das große Fest mit verschiedenen Ritualen und Zeremonien dauert vier Tage lang. Da ich eine Palera bin darf ich an allen Riten teilnehmen.

 

Im Haus von Julio und Maria

Einige Gäste tragen Äste, Blätter, Sträucher, Blüten und Kräuter, in allen Größen und Formen in den heiligen Raum und legen dieses bizarre Grün vor sich auf den Fußboden.
Langgezogene Töne schwingen durch den Raum. Ein Vorsänger löst sich aus demnChor, singt allein - der Chor wiederholt den Refrain.
Ein Gläubiger gießt aus bereitstehenden Krügen verschiedene Flüssigkeiten in einen großen Behälter. Nacheinander tauchen die anderen ihre Kräuter in diesen hinein, nehmen sie wieder heraus und versuchen, sie zu Brei zu formen.
Schließlich haben sie handgroße Kräuter-Kugeln geknetet, aus denen sie einen grünen Saft - Tropfen für Tropfen - quetschen. Eine halbe Kokosnussschale fängt diesen kostbaren Extrakt auf.

Die Santeros bereiten das Osain, eine heilige Käuterflüssigkeit, die in jede 'Götterschüssel' gegeben wird, denn der gleichnamige Gott Osain darf bei keiner Zeremonie fehlen.
Die Zubereitung des Osains ist eine sehr heilige Sache, ein Geheimnis. An diesem Ritus dürfen nur ranghohe Mitglieder der Santeria teilnehmen.
Ich bin mittlerweile zu einer guten Freundin von Maria Julio geworden und darf diese Zeremonie von Hof aus beobachten.
Während ich die Zubereitung der Kräutermischung (des Osain) betrachte, erzählt mir ein alter, weißhaariger Farbiger, die alte Yoruberlegende über Osain:

"Osain wurde nicht geboren, er erschien einfach. Er hat weder Mutter noch Vater, auch keine Geschwister. Wie das Gras ist er der Sohn von niemanden. Er ist ein lahmer, einäugiger und einarmiger Gott, der nur einen Fuß hat, den rechten, nur einen Arm, den linken, und nur ein Auge. Er hat ein großes Ohr, mit dem er nichts hört und ein kleines, mit dem er viel hört – selbst die Musik, die die Blumen beim Sichöffnen machen.
Osain kennt das Leben gut. Er ist ungehorsam wie die Menschen, zuweilen grausam wie das Leben selbst. Er ist schlau und gerissen. Er kennt alle Geheimnisse des Menschen, der Pflanzen und Tiere, und er ist immer da und überall."

Mitternachts-Messe

Der heilige Altar mit den Schüsseln für die Orishas ist aus dem 'Igbodu' rausgeräumt.
Der Raum ist leer. Der 'Padrino', (derjenige, der dem Gläubigen die ersten Weihen gegeben hat) baut einen 'Altar für die Verstorbenen' auf.
Für jeden Ahnen stellt er ein neues Wasserglas hin, davor ein paar weiße Mariposas und frische grüne Blätter. Zum Schluss befestigt er ein Kreuz zwischen den Fotos der Toten.
Um diesen Altar der Ahnen sitzen die Teilnehmer der 'Mitternachts-Messe', im Halbkreis.
Nur eine Kerze neben dem Altar gibt ein schwaches Licht.
Eine alte Santera murmelt vor dem Altar Gebete.
Die Anwesenden erheben sich und singen gemeinsam ein heiliges Lied. Es erinnert an das 'Vaterunser''.
Danach werden die Verstorbenen befragt. Maria kniet neben der Santera. Diese fragt im Gemisch aus Yoruba und Spanisch, was die Ahnen Maria zu sagen haben.
Die Santera flüstert, da die Toten nur für Maria sprechen.
Jetzt ist Julio an der Reihe. Ihm passt die ganze Messe nicht, er schimpft vor sich hin: "Ich mag die Kirche nicht, mit ihr habe ich nichts zu tun."
Trotzdem lässt er die Santera die Ahnen befragen.
Weit nach Mitternacht endet die Messe mit Yoruba-Gesängen.

Draußen, im Innenhof, wird ein buntes Tuch aufgehängt, darunter Speisen gestellt und Kerzen angezündet, frische Kräuter drapiert und alles mit einem Maschendrahtgitter abgesperrt.
Die Gäste singen.

Im Igbodu
Ein blinder Santero steht vor dem Ahnen-Altar und murmelt in Yoruba: "Wenn es keine Toten gäbe, gäbe es auch keine Gottheiten."
Moise, ein anderer Santero, kommt mit einem großen, schweren Hahn.
Maria und Julio gedenken ehrfürchtig ihrer Verstorbenen und erwarten das Opferritual.
Der blinde Santero berührt zuerst Maria, dann Julio, mit dem Hahn an der Stirn, den Schultern, Armen, Beinen und am Schoß. Zum Schluss hält er das Opfertier über ihre Köpfe.
Es sieht aus, als solle der Hahn alle unreinen Gedanken, schlechten Gefühle, kurz - das Böse im Menschen - in sich aufsaugen, ihn davon befreien.

Der Santero hält den Kopf, Moise den Körper des Opferhahns.
Einige Halsfedern werden herausgerißen.
Moise durchbohrt mit einem Messer den Hals, so dass es auf der anderen Seite wieder austritt.
Das Blut tropft an der Messerspitze herunter.
Präzise - Tropfen für Tropfen – fällt es in die einzelnen Götterschüsseln und auf die heiligen Gegenstände.
Der blinde Santero rupft abermals Federn aus und streut sie über die blutigen Gegenstände, an denen sie kleben bleiben.
Die Gäste singen.

Auch der große Raum ist jetzt leer geräumt.
Immer mehr Gäste kommen.
Die Trommelspieler schmücken die heiligen Trommeln mit perlenbestickten Überhängen, die große Trommel bekommt noch einen Schellen-Kranz umgehängt. Die Trommler setzen sich weiße Mützen auf.
Es wird das heilige 'Elgun' gespielt, zu dem nur die Gläubigen tanzen und singen dürfen.
Einige Santeros haben ihre rituellen Kleidung angelegt.
Maria trägt das blaue Kleid Yemayas, mit einer Borte weißer Enten.
Ich sehe das rote Gewand Changos, das gelbe Kleid Ochuns und andere.
Diese rituelle Kleidung trägt man nur, während das 'Elgun' gespielt wird, oder wenn ein Oriasha von einer Person Besitz ergreift.
Die Trommler lassen die heiligen 'Batas' sprechen.
Maria begrüßt die Trommeln: Sie tanzt vor ihnen, berührt 'Iya' – die große, mittlere Trommel - mit der Stirn, verbeugt sich vor 'Itotele' , der kleineren und küßt 'Okonkolo', die kleinste Trommel.
Danach begrüßen alle Gläubigen der Reihe nach die Trommeln – auch ich muss die heiligen Trommeln auf diese Weise ehren.
Alle gläubigen tanzen, singen, tanzen ...
Eine Frau fällt in Trance, wird von ihrem 'Heiligen bestiegen'.
Sie taumelt, zuckt, macht Verenkungen. Zwei Tänzer halten sie und führen sie in den 'Heiligen Raum'.
Dort geniest sie eine Paste aus Honig und Osain.
Zwei Frauen ziehen ihr das rituelle, schwarze Gewand Oyas an.
Mit einem Kräuterbüschel in der linken und einer weißen, lebenden Taube in der rechten Hand erscheint sie wieder im großen Tanzraum und tanzt mit den heftigen Gesten Oyas.
Der Reihe nach berührt sie uns mit dem Kräuterbüschel und streicht mit der weißen Taube über unsere Körper.
Sie tanzt - die Taube in ihrer Hand ist längst tot - zum Klang der Trommeln.
Gegen 15.oo Uhr verstummen die heiligen 'Batas'.
Die Gäste verlassen das Haus.

 


Julio, sein 10 jähriger Enkel Julian, und ich fahren im Auto zu befreundeten Bauern aufs Land.
Flußaufwärts geht es, tiefer und tiefer ins grüne Dickicht.
Büsche und Bäume blühen rot, weiß, gelb, rosa .... Palmen ragen hoch auf, schwanken im warmen Spätnachmittagswind.
Das erste Dorf.
Am Eingang steht eine überlebensgroße, plastische Plakatwand: Das Gesicht Che Guevaras, darunter der Schriftzug: 'Ser como el' (Sein wie er).

Die Bauernhäuser sind klein und aus Holz. Sie liegen meist weit verstreut voneinander. Bei offener Tür sitzt Ada und bestickt ihre Bluse auf einer elektrischen Nähmaschine. Julian wird freudig von den Kindern begrüßt, und alle klettern auf den alten amerikanischen Straßenkreuzer, der kaputt auf dem Hof herumsteht.
Tiere laufen hier frei herum, vor allem schwarze Truthähne.
Alejandro kommt aus dem Zuckerrohrfeld mit ein paar abgeschnittenen Rohren, die er den 3 großen Rindern zum Fraß vorwirft.
Erst dann kann er sich um Julio kümmern. Er umarmt ihn herzlich.
Trotzdem: „Nein, Ziegen kann ich Dir nicht verkaufen“. Alle, für die er verantwortlich ist, gehören der Kooperative.
Julio ist enttäuscht, dass Alejandro sich voll und ganz an die Regeln hält. Für ihn, einen Freund, könne er doch wirklich eine Ausnahme machen.
Aber nein, unverrichteter Dinge fahren wir zum nächsten Dorf.
Dort kaufen wir zwei Ziegen, eine Schildkröte, mehrere Hühner und ein große Ente.
Wir müssen uns beeilen - die Zeit drängt. Die Götter verlangen ihre Opfer noch heute Nacht.

 

Allmählich füllt sich der leere 'Heilige Raum' wieder mit den Orishas. Der Padrino ordnet die heiligen Gefäße im Raum.
Die Schüsseln für Obatala, Ochun, Chango und Yemaya kommen - abgedeckt, so dass das Allerheiligste, die Steine (otá)) sichtbar werden - auf die rechten Seite.
Die Gefäße für Ochosi und Ogun, Eleggua und die Vogelstangen Osuns stehen auf der linken Seite.
Auf jeder Seite gibt es dazu noch einen Teller mit vier grob herausgebrochenen Kokosnußstücken.
Der Santero Moise ruft Julio u sich -  die Santera Arozia winkt Maria herbei.
Moise und Arozia legen je vier Kokosnußstücke - das weiße nach oben - auf den Boden und gießen etwas Wasser darüber.
Moise und Arozia singen, murmeln, sprechen in Yoruba mit Julio bzw. mit Maria.
"Werdet ihr Götter zufrieden sein mit dem, was wir für Euch zusammengetragen haben? Werdet Ihr uns auch in Zukunft Schutz gewähren?"
Während des Gesangs nehmen Moise und Arozia die vier Kokosteile in beide Hände, halten diese über den Kopf von Julio und Maria, berühren damit deren Körper und lassen sie schließlich vor die geöffneten Götterschüsseln fallen.
Julio hat sich vor das rote Gefäß Changos flach auf den Boden geworfen, Maria vor den blauen Krug Yemayas.
"ALAFIA" ruft Moise laut. Er muss nochmals das Orakel befragen.
"ELLIFE", freut sich Arozia, denn alle Götter sind schon mit dem ersten Wurf zufrieden.
Dieses Ritual wird vor jedem geöffneten Götter-Gefäß vollzogen.
Neben den glattpolierten, heiligen Steinen sehe ich auch Kaurismuscheln, Ketten, frische Kräuter und die Flüssigkeit Osain. In der Schüssel Changos liegen noch zwei Ziegenhörner, in dem blauen Tonkrug für Yemaya eine kleine Zelluloidpuppe.
Nach jeder Befragung werden die Schüsseln sofort wieder zugedeckt.
Da jeder Orisha für einen festumrissen Lebens-Bereich zuständig ist, muss jeder einzeln befragt werden, ob er/sie mit dem Opfer zufrieden sein wird.
Für diese Fragen verwendet man das Orakel 'Obi', eins der drei Weissagungssysteme der Santeria.


Obi heißt in der Yorubasprache Kokosnuss. Dieses Orakle hat nur fünf Deutungsmöglichkeiten.
Vier Stücke einer Kokosnuss - außen braun, innen weiß - können fünf verschiedene Formationen bilden.
ALAFIA (alle vier weiße Seiten zeigen nach oben): Es sprechen die Götter Chango und Orula. Dieser Buchstabe kann gut aber auch böse sein, man muss weiter fragen, d.h. erneut die Kokosteile werfen.
ETAWA (3 mal weiß, 1 mal braun): Es sprechen Ogun, Yemaya, Chango oder Ochosi. Erst wenn ein zweites Aal 'ETAWA' fällt, kann man beruhigt sein.
ELLIFE (2 mal weiß, 2 mal braun): Alle Götter sind zufrieden.
OCANA SODDE (1 mal weiß, 3 mal braun): Es sprechen die Toten, aber auch die Götter Eleggua, Babala Aye, Chango oder Aggayu. Diese Formation bedeutet: das Opfer wird erfolglos sein, wenn nicht sogar schädlich.
OYEKU (4 mal braun): Es sprechen Chango und Oya. Dieser Buchstabe kündigt den Tod an. Man muss sehr viele Opfer bringen.

 

 

Opfer für Ellega, Ochosi und Osain

Der Padrino Moise ordnet die Schüsseln neu: mehrere Töpfe mit Metallteilen stellt er in die Mitte des Raumes, davor die Tonschalen Elegguas. Ochosi hat drei, Ogun zwei, Eleggua fünf Gefäße. Daneben stehen noch fünf Stangen mit einem Vogel an der Spitze, der Geist Ossun, der Diener der 'Kriegsgötter'.
Moise stimmt einen monotonen Refrain-Gesang an. Dabei bestreicht er alle Metallteile der Orishas mit Honig. Aus einem Tütchen aus Zeitungspapier legt er Maiskörner in jeden Göttertopf.
Er nimmt einen Schluck Wein in den Mund und prustet einen Sprühregen über alle Töpfe. Dann wiederholt er dies mit einem Schluck Rum. Nochmals gießt er Honig über alle Orishas.
Bevor der Hahn geopfert wirden, muss auch ich gereinigt werden:  Maria berührt mich mit dem Hahn an der Stirn, den Schultern, Armen, Beinen und am Schoß. Zum Schluss hält sie das Opfertier über meinen Kopf. Die Opferung des Hahnes kann beginnen.
 
Danach wird der erste Ziegenbock wird herein geführt. Er meckert. Grüne, frisch gewaschene Kräuter, werden zu den Göttertöpfen in die Mitte des Raumes gelegt. Ein angenehmer, frischer Duft verbreitet sich.
Feierlich wird ein graues Leinenbündel entrollt: das Opfermesser liegt bereit.
Die Stirn aller Anwesenden wird mit einer Schnur berührt.
Dem Ziegenbock werden frische Kräuter ins Maul gesteckt, das mit eben dieser Schnur zugebunden wird. Er röchelt jetzt nur noch leise.
Moise küsst dem Opfertier die Stirn.
Maria verbeugt sich vor dem Ziegenbock, küsst seine Stirn.
Sie hat den Mund voller kleiner, weißer Teilchen einer Kokosnuss. Diese prustet sie der Ziege auf den Kopf.
Moise und ein Helfer heben das sich wehrende Tier über Marias Kopf, legen es auf ihre Schultern, berühren ihre Brust, Füße und ihren Schoß mit ihm.
Zwei Helfer halten den schweren Ziegenkörper, Moise selbst den Kopf über die Gefäße der Orishas.
Der Ziegenkopf wird mit zwei Schnitten vom Körper getrennt, die Schnur wieder abgenommen.
Maria berührt die frische, blutige Schnittstelle mit ihren Fingern und leckt von diesen das warme Blut ab. Sie nimmt den Ziegenkopf in beide Hände - die Anwesenden klatschen rhythmisch - und umkreist mit ihm die Göttertöpfe. Danach legt sie den Kopf zu dem Körper des Opfertieres.
Während des gesamten Opferrituals singen die Gläubigen.
Den Göttern Eleggua, Ochosi und Ogun muss man zwei männliche Ziegen, zwei junge Hühner, zwei ausgewachsene Hähne und drei Tauben opfern.
Den Hähnen wird mit dem Messer der Hals durchstochen, den Hühnern und Tauben der Kopf einfach abgedreht.
Maria muss jedesmal den blutigen Hals küssen.
Gern tut sie das nicht - nur zögernd leckt sie an dem warmen Blut.
Einige Halsfedern werden ausgerupft, über die Göttertöpfe gestreut.

Der zweite Ziegenbock wird ebenso geopfert.
Zum Schluss ist alles übersät mit Blut und den daran festgeklebten Federn. So stellt der Padrino die Töpfe beiseite und reinigt den Fußboden.

Im Innenhof beginnen zwei Männer, die Ziegenböcke zu häuten und zu zerlegen.
Die Frauen rupfen die Hühner, Hähne und Tauben. Dabei lösen sie sorgfältig einen kleinen Knochen aus dem Kopf.
Der Padrino kommt mit einer dünnen, fast durchsichtigen Tierhaut ins 'Heilige Zimmer'.
Er hält das Bauchfell des Opfertieres Maria und Julio vor die Augen und singt: "Eure geistige Sicht möge sich verbessern."
Eine Schale mit den Innereien der Opfertiere wird vor Moise abgestellt. Er gießt Honig über alle Teile, streut ein paar Maiskörner und Federn darüber, legt das Bauchfell auf die Innereien.

Das Fleisch der ersten Opfertiere wird in großen Schüsseln hereingetragen. Die Santeros halten ihre Hände schützend über die Gefäße und stimmen einen rituellen Gesang an. Das so gesegnete Fleisch wird wieder in den Innenhof hinausgebracht.

Opfer für Chango und Yemaya
Die Schüsseln für Chango, Yemaya und die kleinen Krüge für die Ibbeyi-Zwillinge werden in der Mitte angeordnet.
Der Gesang für Yemaya: "Bitte, Yemaya belohne mich, und gib mir Reichtum".
Eine große, weiße Ente wird ihr geopfert, danach zwei gesprenkelte Perlhühner für die Zwillinge Ibbeyi.
Der Gesang für Chango: "Bitte, Chango befreie mich von meinem Leid".
Julio wirft sich vor die geöffnete Schüssel Changos. Mit Hingabe lutscht er an einem glatten, bernsteinfarbenem Stein, der aufrecht in der Mitte steht. Er küsst, leckt ihn ab - wie in sexueller Erregung.
Moise schlägt mit einem anderen Stein den Kopf einer Schildkröte ab. Er legt ihn in die Schüssel Changos und lässt das Blut der Schildkröte in die Gefäße Changos, Yemayas und der Ibbeyi tropfen.
Julio gießt Rotwein und Osain in den Schildkrötenkörper und trinkt mit Verzückung daraus.
Den Rest des Gemischs aus Wein, Osain und Schildkrötenblut gießt er in eine Schale der heiligen Kolanuß.
Alle 'Kinder Changos' trinken ein Schlückchen davon.
Julio kniet nieder vor Chango. Jetzt ist er ganz ruhig und konzentriert.
Moise gießt Honig in die Schüsseln.
Moise und Maria rupfen den Hähnen und der Ente ein paar Federn vom Hals, bestreuen damit die Götterschüsseln.
Die Opferungen sind vollzogen.
Die Gäste verlassen das Haus.

Maria, Julio, der Padrino, Moise und einige andere Männer und Frauen bleiben im Innenhof und in der Küche. Sie bereiten die ganze Nacht hindurch das Festessen für morgen vor. Und sie stellen Unmengen von Süßigkeiten her. Diese müssen für die Götter am 4. Tag bereitgestellt werden.

 

Die Opferzermonien für die Götter – das Fleisch für die Menschen

Der Padrino beginnt morgens, den 'Heiligen Raum' neu auszuschmücken. Er reinigt alle Schüsseln, wäscht die heiligen Steine, befreit sie vom Blut und von den Federn.
Er gestaltet die Altäre für die Orishas: Rot für Chango, Blau für Yemaya, Gelb und Gold für Ochun. Für Babalu Aye werden riesige Palmwedel angeschleppt. Eine ganze Wand verwandelt sich im Laufe des Tages zu einem duftenden Blätter-Kräuter-Wald. Babalu Aye verschwindet ganz und gar unter dem vielen Grün.
Die ersten Gäste kommen schon am Vormittag.
Gute Freunde helfen bei den Festvorbereitungen: sie falten hellgraue, vorgestanzte Pappen zu kleinen, rechteckigen Kartons. Kurz bevor das 'profane' Tanzen beginnt, werden diese Pappschachteln gefüllt mit Essen für jede Person: mit dem Fleisch der Opfertiere, Reis und Gemüse.
Die Anwesenden essen stehend mit den Fingern oder mit einem Stückchen Karton.
Maria werden von einer Freundin kleine Röllchen aus Zeitungspapier in die kurzen, krausen Haare gedreht, als Ersatz für Lockenwickler.
Eine junge Frau lackiert einer anderen die Fingernägel - aber nicht mit einem einfachen Rot - nein, ganze Kunstwerke werden darauf gezaubert: rote und silberne Streifen, oder ein kleiner Halbmond wird in hellem Ton abgesetzt ...
Man schminkt sich gegenseitig die Lippen, legt Rouge auf, färbt sich die Augenlider.
So schön gemacht erwarten sie die Trommler und den Tanz.

Abends kommen die Trommler.
Die Guiros - ihre profanen Trommeln - sind verschieden groß und mit grellen Farben bemalt.
Zuerst werden die Orishas im 'Heiligen Raum' vor ihren Thronen begrüßt mit schwungvollem Trommeln, Rasseln, Singen. Der Raum ist viel zu klein für Musiker mit solch einem Temperament.
Es ist heiß.
Den Spielern läuft der Schweiß von der Stirn, den Schultern ...
Immer wieder kommt jemand mit einem Handtuch, trocknet ein Gesicht, einen Rücken, einen Nacken ...
Das Trommeln und Tanzen wird im großen Raum des hauses stattfinden.
Noch mehr Gäste sind eingetroffen und stehen an den Wänden und im Toreingang.
Die Trommler lassen die Guiros sprechen.
Hände trommeln.
Einer antwortet dem anderen ...
Ein Ohrenschmaus und ein großartiges Schauspiel.

Die Zuhörer verlassen ihre Beobachterrolle.
Sie tanzen ....

Die erste Frau ist bereit, Chango in sich aufzunehmen. Aber Chango will und will noch nicht von ihr Besitz ergreifen. Die Musiker feuern sie an. Aus der Menge ergreift einer die Initiative: er singt heftig auf sie ein, seine Gestik und Mimik konzentrieren sich völlig auf die Frau.
Julio kommt hinzu, feuert sie ebenfalls an. Seine geübte Stimme übertönt alles.
Dann wieder der Trommler, ein zweiter und Julio ...
Sie schmettern abwechselnd oder gemeinsam ihren Gesang der Frau entgegen - einer großen, schweren Frau im weißen Kleid mit roten Streifen.
Sie tanzt. Sie stemmt ihre Arme in die Hüften, rollt ihre Augen, dreht sich - den Kopf nach unten gesenkt - stampft mit beiden Beinen auf - tanzt.
Schließlich schreit sie, rollt die Augen, macht trotzige Mundbewegungen, wirft ihre Arme schräg nach vorn und stürzt sich auf die große Trommel - schlägt mit beiden Händen darauf.
Stille.
Chango weilt unter uns.
Das Trommeln, das Tanzen geht weiter.
Chango bekommt seine Doppelaxt in die rechte Hand.
Chango umarmt jeden von uns und streicht mit seiner Axt über unsere Körper von oben bis unten.
Die Anwesenden drücken Chango Geldscheine in die Hand, die er wiederum den Trommlern in den Mund steckt.

Ein junger Mulatte tanzt besonders wild, klappt zusammen wie ein Taschenmesser, im gleichen Augenblick schnellt er wieder empor. Sein Kopf fliegt heftig nach oben, nach hinten, nach vorn. Er stößt ein kurzes, scharfes Lachen aus, noch eins und wieder und wieder. Mit angewinkelten Armen scheint er fliegen oder schwimmen zu wollen - soverläßt er den Raum.
Im 'Heiligen Raum' zieht man ihm ein blaues Kleid an, geschmückt mit weißen Enten.
Yemaya ist angekommen.

Eine junge Frau schwankt, taumelt, schlägt lang hin. Zwei Männer kommen hinzu. Sie tragen sie hinaus in den Innenhof. Hier rütteln sie ihren willenlosen Körper, pusten ihr abwechselnd in das linke und rechte Ohr, schlagen ihr mit der flachen Hand auf den Kopf, wiederholen es mehrere Male.
Endlich schlägt die Frau die Augen auf. Ihr Blick ist abwesend, als schaue sie nicht uns an, sondern verweile in einer anderen Welt.
Babalu Aye ist herabgestiegen.
Im 'Igbodu' zieht Maria der jungen Frau das Kleid Babalu Ayes an. Gläubige kommen in den 'Heiligen Raum', um sich vor den Thronen der Götter von Babalu Aye umarmen zu lassen. Viele fallen vor ihm auf den Boden, erbitten seine Berührung. Babalu Aye bestreicht sie mit seinem maulbeerfarbenen Stab.

Plötzlich gehen alle Lichter aus.
Es ist stockfinster.
Nach ein paar Sekunden wird die erste Kerze angezündet, noch eine, eine dritte... bis der 'Igbodu' stimmungsvoll beleuchtet ist.
Babalu Aye sieht die Zukunft voraus: Man hört nur seine Worte. Kongo, Yoruba und Spanisch mischen sich zu einem Sprachgewirr. (Inhalt etwa so: Ein großer, schwarzer Kubageier - dürr, haarig und alt - fliegt in Richtung Meer. Unterwegs brüllt er wie ein Besessener. Die Luft wird gelblich und stickig, das Meer zieht sich immer weiter zurück. Der Geier fliegt und fliegt, aber das Meer kann er nicht erreichen. Aus der Erde unter ihm steigen Flammensäulen empor.)