Zeremonien

Initiation / Cumpleano / Wünsche und Bitten

Jede Zeremonie hat ihre festgelegten Gesänge und Tänze.
Zunächst werden die Orishas gerufen, als erstes immer Eleggua, der Gott der Zukunft, derjenige, der alle Wege öffnet und schließt.
Im Laufe der Gesänge kommt es zu dem Phänomen magischer Besessenheit, zum 'ser montado por un santo' (von einem Heiligen bestiegen werden.) Diese Besessenheit ist eine direkte Art der Verständigung mit der Gottheit.
Besessen-Werden bedeutet, dass eine Person einen Orisha  in ihrem Körper aufnimmt. Dieser zwingt den Betreffenden zu Verdrehungen und Verrenkungen, die in Verbindung zu den Eigenschaften des entsprechenden Gottes stehen.
So erkennen die Anwesenden an der Gestik und Mimik der besessenen Person sofort, welcher Orisha von ihr Besitz ergriff.

Eine 'von einem Heiligen bestiegene' Person erhält sofort eine Vormachtstellung innerhalb derer, die den Kult praktizieren. Jeder der Anwesenden möchte von ihr berührt werden - ist sie doch in diesem Moment der Orisha selbst!
Manchmal kommt es vor, dass eine besessene Person weissagt. Dann wird das Tanzen, Trommeln und Singen unterbrochen, und alle lauschen der Weissagung.


Vorbereitung

Wir sind auf einem breiten, mit glänzenden Marmorplatten ausgelegten Boulevard. Große Bäume mit kleinen, silbrigen Blättern scheinen direkt aus dem Steinboden zu wachsen und bilden über uns ein flüsterndes Gewölbe. An beiden Seiten stehen warme Marmorbänke und romantische, vielarmige Gaslaternen, rechts und links herrschaftliche spanische Paläste - wir sind auf dem 'Paseo de Marti' in Havanna 1992.
Von dieser Prachtstraße biegen wir ab in eine quirlige Seitenstraße: Eine auf Stelzen tanzende Gruppe kommt uns laut trommelnd entgegen.
Mitten in diesem bunten Trubel betreten wir einen Laden besonderer Art:

  • Tierschädel schauen grausig aus dunklen Regalfächern.
  • Perlen in allen Farben und Größen strahlen in Marmeladengläsern.
  • Verschiedene Holzstäbe, fein säuberlich sortiert und beschriftet,  liegen in großen Regalen.
  • Berge von frischen und getrockneten Kräutern duften auf der anderen Seite.
  • Kerzen aus Stearin und Honigwachs sind zu zwei hohen Pyramiden gestapelt.
  • Sonnenblumenköpfe leuchten aus einer offenen Schublade.
  • Greuliche Knochen, unterschiedlichster Art und Größe, liegen in einer Glasvitrine.

Hinten gibt es einen Innenhof mit einem großen Käfig für die Aufzucht von Opfertieren: Tauben, Enten, Hühner, Hähne, Ratten, Schildkröten usw.
Hier kaufen wir zwei stattliche Hähne, zwei Kerzen, vier Zigarren und zwei Flaschen Aguardiente-Schnaps.

Heute soll ich als 'Palera' in die 'Regla de Palo' aufgenommen werden. Für das Initiation Ritual brauchen wir die gekauften Tiere und Gegenstände. Ohne diese ersten Weihen ist es unmöglich, an Zeremonien teilzunehmen.

Als Cutcho mir eines Tages anbot, mich in diesen Kult einzuführen, sagte ich - im Zwiespalt zwischen Angst und Neugier - zu.

 

In Cutchos Haus:

Wir sind fünf Anwärter und gehen barfuß, einer hinter dem anderen, zur Eingangstür und stellen uns im Halbkreis auf.
Der Altar mit der großen schwarzen Puppe ist geschmückt mit weißen, stark duftenden Mariposas, der kubanischen National-Blume. Die etwas kleinere Puppe darüber ist ebenfalls verschönert mit Mariposas und frischen grünen Blättern.
Die Eingangstür, die sonst immer einen Spalt breit offensteht, wird von einer kräftigen, weißgekleideten Palera zugehalten. Alle stimmen einen monotonen Gesang an.
Wir Neuling werden der Reihe nach purifiziert:
Cutcho, hält jedem von uns einen Büschel frischer Kräuter über den Kopf und fragt, nach unserem Namen. Nach deren Zustimmung werden wir – wieder der Reihe nach -  mit den Kräutern von oben bis unten, von vorn und hinten, berührt, ja richtig geschlagen.
Dabei murmelt Cutcho Worte in Congo, dass alles Schlechte aus Körper und Seele gebannt werden soll. Schließlich nimmt er einen kräftigen Schluck Aguardiente in den Mund und prustet uns einen feinen Sprühregen ins Gesicht, auf die Schultern, auf die Brust und auf den Rücken.

Danach tauchen wir unsere Hände in eine braune Kräuterflüssigkeit und benetzen damit unser Gesicht, Haare und den Hals.
So 'gereinigt' werden uns die Augen verbunden.
Wir bilden eine Schlange, legen die Hände auf die Schulter des Vordermannes. Eine erfahrene Palera führt uns in den tief im Haus liegenden Heiligen Raum, den Igbodu. Dort stellen wir uns erneut im Halbkreis auf. Unsere Hosenbeine werden aufgekrempelt - bis übers Knie. Mit nackten Beinen knien wir auf hartem Betonfußboden, den Kopf zum Altar gewendet. Als ich den Kopf etwas zur Seite drehe, richtet eine Palera ihn sofort wieder in Richtung Altar.

Der Zeremonienmeister Cutcho singt vor, die Paleros wiederholen den Refrain.
Eine monotone Trance-Atmosphäre entsteht, die es uns ermöglicht, die Strapazen des Kniens besser zu ertragen. Aber es ist auch eine Atmosphäre, in der man seine Willenskraft verliert und man alles mit sich machen lässt.

Zuerst nebelt Cutcho jeden von uns mit dem Qualm einer Havanna-Zigarre ein.
Mit einem weißen, weichen Stein zeichnet er ein Kreuz auf unsere Stirn, Brust, Schultern, Arme und Beine. 
Ein Helfer hält dabei eine brennende Kerze hoch, als Symbol der Erleuchtung.
Ein Holzmesser wird mit Zigarrenqualm eingenebelt, mit Aguardiente besprüht und in die Kerzenflamme gehalten bis es glühend ist. Dann ritzt Cutcho auf alle gekennzeichneten Stellen ein Kreuz. Der Schmerz erinnert an Messerschnitte und ist kaum auszuhalten. Der Schweiß perlt nur so über unsere Körper. Die Brandwunden werden mit einem Büschel feuchter, frischer Kräuter gekühlt. Als letztes gibt es wieder einen Sprühregen Aguardiente für jeden von uns.

Danach müssen wir uns auf den Bauch legen, die Arme auf den Rücken verschränken und das Gesicht auf den Steinboden drücken. Die Gesänge gehen unvermindert monoton weiter. Während wir auf dem Boden liegen, bilden die Paleros einen Kreis um uns, strecken den rechten Arm mit geöffneter Hand über uns aus, so dass ein schützender Stern über uns entsteht.
Danach müssen wir uns wieder hinknien. Aus einer großen Kokosnusshälfte schlürfen wir zuerst ein Kräuter-Alkohol-Gemisch, danach aus einer kleinen Jicara-Schale etwas sehr Scharfes, stark Alkoholhaltiges, dann Rum, danach Aguardiente und schließlich Wasser. Endlich dürfen wir aufstehen.

Die Binde wird abgenommen, aber wir sollen unsere Augen noch geschlossen halten. Cutcho befeuchtet sie mit einem Kräutersud. Bei der Aufforderung 'Gib Licht!' dürfen wir die Augen öffnen. Als erstes blicke ich in die dunklen, glühenden Augen des alten Zeremonienmeisters, Cutcho. Sein Gesicht glänzt vom Schweiß der Erregung. Mit Inbrunst und größtem Ernst hält er mir ein eisernes Kruzifix dicht vor mein Gesicht und fragt, ob ich wüßte, wer das sei. Als ich nicke, beginnt er mit seiner Ansprache: ich solle zu allen Zeiten G o t t ehren, ebenso Mutter und Vater.

Dann begrüßen uns die 'alten' Paleros mit einem komplizierten Handschlag und den Worten 'Salem aleikum'. Wir ahmen den Händedruck nach und antworten mit 'Aleikum salem'. Jeder umarmt jeden. Wir klatschen, singen, tanzen ...
Wir neuen Paleros müssen den alten Rum oder Aguardiente anbieten.
Wir alle sind jetzt Brüder und Schwestern.
Die Trommler kommen. Das Tanzen, Singen geht weiter, auch in den anderen Räumen. Das Haus vibriert die ganze Nacht hindurch.